Teil 5: Ein Durcheinander an Fatwas
Die Vorherrschaft des Islam im saudischen Leben hat zu einem rießigen religiösen Sektor geführt, der sich bis weit jenseits der offiziellen Staatskleriker erstreckt. Das öffentliche Leben ist voller Scheichs als Berühmtheiten, deren Bewegungen, Kommentare und Konflikte von den Saudis genauso nachverfolgt werden, wie Amerikaner ihren Hollywoodschauspielern folgen. Es gibt alte Scheichs und junge Scheichs, Scheichs, die früher Extremisten waren und mittlerweile Toleranz predigen, Scheichs, die von Frauen als sexy wahrgenommen werden und einen schwarzen Scheich, der sich selbst mit Barack Obama verglich.
In der hypervernetzten Gesellschaft des Königreichs konkurrieren sie um die Aufmerksamkeit von Nutzern bei Twitter, Facebook und Snapchat. Und auch der Großmufti, der oberste religiöse Führer des Landes, hat eine eigene Fernsehsendung.
Das Nutzen der Technologie geht direkt gegen die Geschichte der wahhabischen Kleriker, die ursprünglich fast alles neue ablehnten, da sie es als Gefahr für die Religion betrachteten. Früher waren Telegraphen verboten, Radio, Kameras, Fussball, Mädchenschulen und das Fernsehen, das erst in den 1960ern nach Aufständen eingeführt wurde.
Für die Saudis, die versuchen zu bestimmen was halal, also erlaubt ist und was haram ist, also verboten, kann es sehr herausfordernd sein. Daher wenden sie sich an Kleriker für Fatwas, bei denen sich um nicht bindende religiöse Vorschriften handelt. Während einige davon sehr viel Aufmerksamkeit erhalten - wie etwa als Ayatollah Rohollah Khomeini aus dem Iran zum Mord an Salman Rushdie aufrief - so geht es bei den meisten um Details des religiösen Lebens. Anders enthüllen die manchmal karikaturesken Verrenkungen, die einige Kleriker vornehmen beim Versuch, die Moderne mit ihrem Verständnis von Religion in Einklang zu bringen.
Es gab beispielsweise einen Kleriker, der zum Mord an Mickey Maus aufrief, um danach davon zurückzurudern. Ein anderer prominenter Kleriker musste eine Erklärung herausgeben, dass er nicht wirklich all-you-can-eat Buffets verboten hat. Der selbe Scheich wurde kürzlich gefragt, wie das sei mit Personen, die Fotos von sich und ihren Katzen machen. Er antwortete, dass katzenartige Wesen irrelevant seien; die Fotos wären kein Problem.
"Fotografie ist verboten, wenn es nicht notwendig ist," sagte er. "Nicht mit Katzen, nicht mit Hunden, nicht mit Wölfen, mit keinem Tier."
Die Regierung hat versucht, den Ausfluss an religiösen Meinungen mit Hilfe offizieller Fatwa Institutionen enzudämmen. Aber auch die Staatsfatwas haben Gelächter ausgelöst, wie etwa die Fatwa, die das Geldausgeben für Pokemonprodukte als "Verbindung in Sünde und Überschreitung" bezeichnete.
Während die Regierung versucht, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, predigt eine staatliche Organisation für Fatwas die "Gefahren für Frauen, wenn sie Männern in die Arbeitswelt folgen," weswegen sie davor warnen, dass "dies der Grund sei für die Zerstörung von Gesellschaften."
Und es gibt auch Fatwas, die Extremisten mit religiösen Rechtfertigungen ausstatten. Es gibt die Fatwa, die noch immer auf Englisch auf einer Regierungsinternetseite erhältlich ist, vom letzten Großmufti unterzeichnet ist und besagt: "Wer auch immer sich weigert dem geraden Weg zu folgen verdient es ermordet oder versklavt zu werden, um die Gerechtigkeit herzustellen, die Sicherheit und den Frieden zu erhalten, wie auch um das Leben, die Ehre und das Eigentum zu schützen."
Weiter heisst es: "Sklaverei im Islam wirkt wie eine Reinigungsmaschine oder eine Sauna, in der all jene Gefangenen enden, denen der Schmutz abgewaschen werden muss, um sie am Ende rein, pur und sicher wieder aus einer anderen Türe rauszulassen."
Einmal, als wir beim Kaffee saßen antwortete Herr Scheich sein Handy, hörte ernsthaft zu und gab auf der Stelle eine Fatwa heraus. Er bekommt solche Anrufe regelmässig.
Die Anfrage drehte sich um die Frage eines Pilgers nach Mekka, wo er seine rituell reine weiße Kleidung anziehen muss - eine einfach Sache. Die Antwort in diesem Fall lautete Jiddah. Andere waren schwieriger und er zögerte auch, wenn er sich nicht sicher war. Einmal frage eine Frau nach falschen Wimpern. Er sagte ihr, er wüsste es nicht, dachte aber darüber nach und entschied, dass es in Ordnung sei und zwar unter einer Bedingung: "Dass kein Betrug damit geplant ist."
Eine Frau könnte sie etwa anziehen, bevor ein Mann ihr einen Antrag macht.
"Und dann nach der Eheschliessung kommen sie wieder weg!" sagte er. "Das wäre Betrug und ist verboten."
An einem Freitag nahm mich Herr Scheih mit zu seinem Onkel, dem Großmufti Abdulaziz al-Scheich.
Wir betraten eine große Empfangshalle nahe des Hauses des Muftis in Riad, an deren Wänden gepolsterte Bänke standen und auf denen dutzende bärtige Studenten saßen. In der Mittel auf einem erhöhten Armsessel fand sich der Mufti, mit seinen Füßen in braunen Socken und auf einem Kissen sitzend. Die Studenten lasen religiöse Texte und der Mufti warf Kommentare ein. Er war 75, wie Herr Scheich sagte, und ist seit dem 14. Lebensjahr blind, als ein deutscher Arzt bei einer Augenoperation an ihm scheiterte.
Herr Scheich sagte, ich könne ihm eine Frage stellen und so fragte ich ihn, wie er jenen antwortet, die Wahhabnismus mit dem Islamischen Staat verglichen.
"Das sind alles Lügen und Verleumdungen. Daesh ist eine aggressive, tyrannische Gruppe, die kein Verhältnis kennt," sagte er.
Nach einer Pause fragte er "Warum wirst du kein Moslem?"
Ich antwortete, dass ich aus einer christlichen Familie entstamme.
"Die Religion, der du folgst hat keine Quelle," sagte er und fügte an, ich sollte die Offenbarungen von Prophet Mohammed akzeptieren.
"Deine Religion ist keine Religion," sagte er. "Am Ende wirst du Gott gegenübertreten müssen." weiter hier
Teil 1: Ein saudischer Moralpolizist
Teil 2: Probleme im Verständnis
Teil 3: Fragt erst gar nicht nach Schwulenrechten
Teil 4: Was ist ein Wahhabi?
Teil 5: Ein Durcheinander an Fatwas
Teil 6: Ein unerwarteter Reformer
Teil 7: Kein Platz für Einsprüche
Teil 8: Reform auf die harte Tour
Im Original: A Saudi Morals Enforcer Called for a More Liberal Islam. Then the Death Threats Began.
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