Politik. Von Peter Foster, 31. Mai 2016
Einzeln sahen die Proteste, welche seit 2008 die Plätze von Europas größten Städten gefüllt haben, aus wie die Aktionen aufgescheuchter Wirrköpfe, aber nimmt man alle zusammen, dann sieht man, dass Angst und Verärgerung daraus bereits die politische Landschaft Europas verändert hat.
In Griechenland hat die weit links stehende Syrizapartei 2015 ein jahzehntealtes Politikestablishment beendet, es war eine Machtergreifung, die Europas politisches Establishment aufgewühlt und Griechenland an den Rand eines ungeordneten Austritts aus der Euro Währung gebracht hat.
In Italien haben die Fünf Sterne Bewegung und die Lega Nord mittelinke Politiker wie Matteo Renzi nach rechts gezogen und ihn direkt in den Wind gegen Brüssel und Berlin gestellt; in Spanien, hat die linke Podemos Partei geholfen, das traditionelle Zweiparteiensystem zu beenden und hinterliess Europas fünftgrößte Volkswirtschaft für fast sechs Monate ohne Regierung.
Und wie dir Wahlen in Irlans im April zeigten, sind die Fragmentierungskräfte nicht beschränkt auf die sich in Turbulenzen befindliche südliche Peripherie Europas; keine Ecke des Kontinents ist unangreifbar. Nach beinahe einem Jahrhunder mit einem Zweiparteiensystem, das von Fine Gael und Fianna Fail dominiert wurde, hatte Irland zwei Monate lang keine Regierung, und selbst jetzt wird es nur von einer schwachen Minderheitenkoalition regiert, von der kaum ein Beobachter erwartet, dass sie hält.
Dies in einem Land, das als Gesicht diente einer Europäischen "Erholung" - Irlands Volkswirtschaft wuchs 2015 beinahe um 8 Prozent - aber außerhalb der prosperierenden Enklaven von Dublin und Cork haben nicht genug Menschen die Vorzüge der Erholung bemerkt, wodurch regionale Interessenten von der weitverbreiteten Ermüdung von der Austerität profitieren konnten.
Es gab nur wenige Schlagzeilen im reichen Europa, aber Kroatien ging letzten November durch ein ähnliches Phänomen, als Regionalparteien, die nur vereint waren in ihrem Wunsch, dem Establishment ein Bein zu stellen, zu den Königsmachern einer Regierung wurden, die drei Monate später bereits kurz davor stand zu implodieren.
Schaut man weiter nördlich nach Österreich und deren 2016er Präsidentschaftswahlen, dann sah man wie das Zweiparteiensystem, welches das Land seit dem zweiten Weltkrieg beherrschte an den Rand des Zusammenbruchs kam. Die weit rechts stehende Freiheitliche Partei hat um Haaresbreite - es waren 0,6 Prozent der Stimmen - die Präsidentschaft gewonnen und damit gezeigt, dass beinahe die Hälfte Österreichs war bereit und willig, für deren Kandidaten zu stimmen.
In den Niederlanden führt Geert Wilders Anti-Islam und -Einwanderungspartei der Freiheit (PVV) die Umfragen an und hat nun die klare Perpektive bei den Parlamentswahlen 2017 die Macht zu erringen. Er hat keine Zweifel, weshalb seine Partei plötzlich so populär wird. "Der Geist ist aus der Flasche und dieser Geist wird nie wieder zurück in die Flasche gehen. Wir haben eine demokratische, gewaltfreie Revolution auf dem Radar - ein 'patriotischer Frühling' ist am Kommen und natürlich ist das sehr aufregend," erzählte er dem Telegraph kürzlich in einem Interview, in dem er auch warnte, dass die Öffentlichkeit "nicht länger verarscht werden will".
"Die Themen Europa, Terrorismus, Asylbewerber, Verlust der Souveränität und bei Austeritätsmaßnahmen, während Milliarden nach Griechenland geschickt werden, die wir nie wieder sehen werden und weiteren Milliarden, die für Asylbewerber ausgegeben werden... die Leute haben es einfach nur noch satt.."
Und selbst in Deutschland und Frankreich, wo die traditionellen Parteien sich so weit in der Mitte verteidigen konnten verändert der Aufstieg von nationalistischen und Anti-Einwanderungseinstellungen die politischen Aussichten.
Großbritannien ist vergleichbar immun gegen die Fraktionierung: Fünf Jahre einer Koalitionsregierung und ein schottisches Referendum haben die Labour Partei mit einem nicht wählbaren Anführer zurückgelassen und damit seine Fähigkeit eine gesunde Opposition auszuüben geschwächt.
Auf der Rechten war der Aufstieg von Ukip zu einem nicht geringen Teil verantwortlich für David Camerons Entscheidung, ein EU Referendum zuzulassen, das nun einen unwiederruflichen Spalt in die Tory Partei treiben wird und - falls GB am 23. Juni für den Brexit stimmt - eventuell sogar Europa als solchem.
"Es ist eine 'Union der Unruhe'," beobachtet Chris Bickerton, Politikprofessor in Cambridge und Autor des Bürgeranleitung zur Europäischen Union. "Wir neigen dazu zu denken, dass dies vielleicht mit den gescheiterten politischen Systemen am südlichen Mittelmeer zu tun hat und ein Rückschlag Osteuropas ist, aber tatsächlich ist es was anderes - überall wo man hinblickt sieht man diese Entwicklungen losbrechen."
Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 1: Einleitung
Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 3: Wirtschaft
Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 4: Nationalismus
Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 5: Einwanderung
Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 6: Euroskeptizismus
Im Original: Why is Europe so fed up?
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