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Mittwoch, 1. Juni 2016

Telegraph: Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 1



Von Peter Foster, 31. Mai 2016


Es ist fast Mitternacht als Klang der Bongotrommeln auf dem Pariser Platz der Republik zu hören ist, wo mehrere hundert Menschen Bier trinken, Gras rauchen und - wie es einer von ihnen ausdrückt - "Zeugnis ablegen".

Zeugnis ablegen worüber wird nicht sofort klar. Die überwiegend junge Menge hat sich unter einem Banner versammelt auf dem "Nuit Debout" steht - was sich in etwa übersetzen lässt mit "Nachtaufstand" - aber abgesehen davon gibt es nur wenige Hinweise, was die Protestanten vereint, die sich unter dem wachsamen Auge von mehreren Hundert Polizisten versammelt haben.

Am 31. März war der Platz ein Teil eines Arbeiterprotests, der 400.000 Menschen umfasste und gegen die Reformen von Frankreichs rigiden Arbeitsgesetzen gerichtet war, aber seitdem haben die Nuit Debout Protestanten jede Nacht eine Liste mit wild durcheinandergewürfelten Gründen hervorgebracht.

Ein kürzer Überblick über die Menge zeigt Feministen, Umweltbewegte, Sozialisten, Spezies-isten (die jegliche Tyrannei von Menschen über Tiere anprangern), wie auch Anti-Islamophobiebewegte, dazu politische Gruppen zur Verteidigung der Palästinenser und jenen, die noch immer "non" zu den Arbeitsmarktreformen sagen.

"Es geht um das Geraderücken der Politik im Allgemeinen, von Menschen, für Menschen," sagt Yann Le Moullex, ein 21 jähriger Linguistikstudent, der als Freiwilliger bei Noit Debout mitmacht, "wir sind vereinigt gegen Unterdrückung, ob Männner über Frauen, Menschen über Tiere, oder Arbeiter über ihre Chefs."

Nuit Debout, das sich anstrengt zu einer globalen Bewegung zu werden, ist ein Echo anderer inzwischen verblassten Volksprotesten, wie Amerikas Occupy und Spaniens Anti-Austeritätsbewegung Indignados, deren Einflüsse laut einer kürzlich erstellten Umfrage reichen "von Marx bis Marley".

Man könnte es abtun als nur noch eine gescheiterte grenzwertige Protestbewegung, aber die Menschen auf dem Platz teilen eine ganz bestimmte Einstellung mit zig Millionen Menschen quer durch die Europäische Union: Sie haben die Schnauze voll.

"Die Demokratie scheitert," sagt Armand Degue, ein 21 jähriger Student, der Stadtplanung studiert, und wie so viele Protestanten auf den Strassen von Paris, Athen und anderswo nicht der Arbeiterschicht angehört, also kein schlecht gebildetes Opfer der Globalisierung ist, wie man es vielleicht erwarten könnte.

"Ich stehe oben auf der Pyramide: Ich bin ein gebildet, weiß, heterosexuell und habe ein gutes Netzwerk. Die Welt ist geschaffen für meinen Erfolg," sagte er, "aber selbst ich weis nicht, wie die kommenden fünf Jahre aussehen. Ich habe Angst vor mir selbst und ich habe Angst um mein Land."

Nun da Europa, wie der französische Finanzminister Michel Sapin es nannte, in der längsten Periode wirtschatlicher Stagnation und politischer Unruhe seit 1945 steckt, ist es die Angst vor der Zukunft, die man von Athen bis Amsterdam fühlen kann und von Warschau bis Watford.

Statistisch gesprochen mag das heutige Europa das geniessen, was Barack Obama kürzlich die "friedlichste, blühendste, und fortschrittlichste Ära in der Menschheitsgeschichte" nannte, und doch ist Europa eindeutig nicht mehr im Frieden mit sich selbst.


Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 2: Politik


Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 3: Wirtschaft


Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 4: Nationalismus


Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 5: Einwanderung


Warum hat Europa die Schnauze voll? Teil 6: Euroskeptizismus



Im Original: Why is Europe so fed up?

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