Von Dionne Searcey, 17. Juli 2016
Militante streichen in den Öl-getränkten Flüssen des Südens herum, sprengen Piplelines in die Luft und dezimieren die Ölproduktion des Landes. Islamistische Extremisten haben Norden tausende Menschen getötet. Mörderische Landkämpfe schütteln das Zentrum des Landes durch. Und eine jahrzehntealte Seperatistenbewegung kommt inmitten eines zerstörerischen Bürgerkrieges wieder hoch.
Jedes für sich betrachtet wäre bereits ein nationaler Notstand. Aber hier in Nigeria läuft alles zur selben Zeit ab, und zerrt von fast allen Seiten am Land.
"Nigeria ist unser einziges Land," flehte Präsident Muhammadu Buhari kürzlich in einer Rede. "Wir müssen hier bleiben und es gemeinsam retten."
Herr Buhari übernahm das Amt vor einem Jahr mit dem Versprechen, den Terrorismus im Norden zu beenden und die Volkswirtschaft auf Vordermann zu bringen. Aber er wurde vom Kurs abgebracht durch eine Reihe von Krisen im ganzen Land, die ihm dazu zwingen zwischen den Krisen hin- und herzuspringen.
Jenseits der niedrigen Ölpreise, der Quelle für etwa 70 Prozent des Landeshaushalts, wurden nigerianische Regierungsvertreter auch von einer neuen Militantengruppe herausgefordert, die behaupten danach zu streben, den ölproduzierenden Süden von der Unterdrückung zu befreien. Sie nennen sich selbst Rächer des Nigerdelta.
Trotz ihres Namens, der klingt als käme er aus einem Comic, streichen die Militanten seit sechs Monaten durch die Gewässer im Süden und sprengen dabei Öl- und Gaspipelines in die Luft und zerstören den seit Jahren herrschenden relativen Frieden der Region.
Im Ergebnis sank die Ölförderung Nigerias im zweiten Quartal dieses Jahres um 25 Prozent verglichen mit letztem Jahr - gerade genug, um für einen leichten Anstieg des Weltölpreises zu sorgen, wie eine Analyse der in London ansässigen Beratungsfirma Facts Global Energy ergab.
Teilweise aufgrund der Rächer und ihrer Sabotage fiel Nigeria bei der Ölproduktion hinter Angola auf den zweiten Platz in Afrika zurück.
Die Angriffe waren so teuer, dass Herr Buhari das Militär schickte, das gleichzeitig noch im Norden gegen Boko Haram kämpft - der Extremistengruppe, die Tausende getötet hat und mehr als zwei Millionen Menschen zur Flucht zwangen - und nun kämpft das Militär anstatt dessen im Süden gegen die Rächer.
Danach hat Herr Buhari diese Bemühungen angepasst, nachdem es Beschwerden über marodierende Soldaten gab, die während ihrer Suche im Süden nach Militanten Menschen und Eigentum angriffen, und damit nur noch mehr Vorbehalte in der verarmenten Bevölkerung dort verursachten.
Die Militante haben schon in der Vergangenheit im Süden zugeschlagen, sie haben Ölarbeiter und Polizisten entführt oder getötet und einen größeren Anteil am nationalen Ölreichtum gefordert. Aber die Rächer scheinen entschlossen Nigerias Volkswirtschaft noch weiter zu schaden, da sie bereits geschwächt ist und damit noch mehr Herrn Buharis Pläne für das Land durchkreuzt.
Die Rächer haben Arbeiter für Öl, Energie und Gas in die Flucht gejagt und damit multinationale Unternehmen daran gehindert, unter den Gewässern nach Öl zu bohren. Spritlieferungen überall im Land mussten verschoben werden, weil gerade fast alles, das in Nigeria mit Öl zusammenhängt von den Militanten in Mitleidenschaft gezogen wird.
Auf der größten Autobahn in der südlichen Hafentadt Warri gab es kürzlich eine lange Schlange mit Öllastern am Strassenrand, alle waren leer. Bei einem diente ein zurückgebogener Scheibenwischer als Wäscheleine. Eine kleine Zahnpastatube lag auf einem Armaturenbrett. Die Fahrer waren gestrandet und warteten auf das Nachfüllen.
Sie warteten einen Monat lang.
"Wir wollen nicht viel, außer die Menschen im Nigerdelta von der Umweltverschmutzung, von der Sklaverei und der Unterdrückung zu befreien," schrieben die Rächer auf ihrer Internetseite als Erklärung für ihre Angriffe. "Wir wollen ein Land, das die Ufer des Nigerdeltas in Tourismusparadiese verwandelt, ein LAnd, das sein volles Potential ausschöpft, ein Land das ein für alle zugängliches Gesundheitssystem aufbaut. So lange das Nigerdelta noch unter der Kontrolle Nigerias steht kann dies nicht gelingen."
Herr Buharis Regierung sagte, dass sie offen seien für Verhandlungen mit der Gruppe. Aber sie sind schon arg in Bedrängnis.
Auf der anderen Seite des Landes tobt derweil noch immer Boko Haram. Herr Buhari begann eine großangelegte Offensive gegen die Gruppe und machte Fortschritte, aber sie haben noch immer nicht die Gewalt beendet.
Ein anderer Langzeitkampf flackert in der Mitte des Landes wieder auf zwischen Landwirten und nomadisch lebenden Fuani Herdentreibern, die um das Nutzungsrecht von Weideland kämpfen. Hunderte wurden in den Kämpfen bereits getötet, weil die Herdentreiber auf der Suche nach neuer Vegetation für ihr Vieh in neue Territorien eindringen. Behörden haben als Schuldige für den Landmangel den Klimawandel und die stark steigende Bevölkerungszahl ausgemacht.
Und mit ihren Forderungen nach wirtschaftlicher Angleichung des Südens haben die Rächer bereits versucht, auch in anderen Landesteilen Separatistenbewegungen loszutreten.
Vor über vier Jahrzehnten wurden mindestens eine Million Menschen im Nigerianichen Bürgerkrieg getötet, als Separatisten einen Aufstand durchführten, der in einer unabhängigen Republik Biafra im Südosten des Landes enden sollte. Er dauerte drei Jahre bis 1970.
Nun kocht wieder eine Separatistenbewegung in Biafra hoch, deren Anhänger seit Oktober immer wieder mit der Polizei zusammenstösst, nachdem ein prominenter Aktivist verhaftet wurde. Eine haben nigerianische Sicherheitkräfte beschuldigt, nach Protestierenden zu suchen und diese zu töten.
Die Rächer schüren die separatistische Stimmujng beschwören die Biafran Bewegung und fordern ein "Brexit" mässiges Referendum, um das Land entlang mehrerer Bruchlinien zu trennen.
Der Süden war lange schon ein Reservoir für Ärger und Widerstand, ein Ort, wo zahllose Milliarden an Öleinnahmen herausgezogen wurden, um den weit weg sitzenden Politikern und außländischen Unternehmen zuzufliessen. Und doch sind Trinkwasser und Elektrizität bisweilen selten und die Sumpfvölker, die vor Ort leben werden regelmässig von Lecks der Größe der Exxon-Valdez vergiftet, die auf den Flüssen einen Schimmer hinterlassen und die Wurzeln der dichten Mangrovenwälder mit schwarzer Schmiere umgeben.
Viele Menschen im hauptsächlich christlichen Süden sagen, dass sie von Herrn Buhari, einem Moslem aus dem Norden, annehmen, er würde sie aus politischen oder sektiererischen Gründen vernachlässigen, auch wenn die Bedingungen unter seinem Vorgänger Goodluck Jonathan, einem Christen des Südens genauso schelcht waren.
"Du sagst immer, dass du im Bürgerkrieg für die Einheit des Landes gekämpft hast, beschimpfen die Rächer Herrn Buhari auf ihrer Seite. "Du warst noch nie im Nigerdelta, wie kannst du da wissen, was die Menschen dort erleiden müssen."
In seiner kürzlich gehaltenen Rede rief Herr Buhari die Schrecken des Bürgerkrieges in Erinnerung, als er im Militär die Biafrans bekämpfte. "Der Präsident hat eine Vision eines vereinigten Nigeria und ist bereit alles zu tun, um es zu erhalten," sagte er.
Im Frühling kündigte Herr Buhari an, dass er persönlich ein eine Milliarde Dollar schweres Säuberungsprogramm für das ölverschmutzte Nigerdelta eröffnen würde. Es sollte Herr Buharis erster Besuch in der Region seit seinem Amtsantritt sein, aber mit den Rächern am wüten sagte er den Trip kurzzeitig ab.
"Jahre vergingen mit Vernachlässigung, Entzug, Umweltverschmutzung, Armut, Elektrizitätsmangel, keine Strassen, keine Krankenhäuser, keine Schulen, aber wir leben im Land namens Nigeria," sagte Blessing Gbalibi, einem Öllasterfahrer, der an der Küste aufwuchs. "Drüben in Abuja," fügte er an in Bezug auf die Hauptstadt, "da nehmen sie uns unsere Ressourcen weg."
Doch viele Bewohner des Nigerdeltas wie Herr Gbalibi sind gegen die Rächer, weil ihre Sabotageakte die bereits schlechte Lebensqualität in der Region noch weiter verringerten. Die Lecks aus den Explosionen haben das Farmland und die Fischereibereiche noch weiter verschmutzt. Herr Gbalibi und sein Öllaster waren unter jenen, die einen Monat lang auf der Autobahn strandeten, weil die Rächer die Verteilanlagen zerstörten.
Etwa vor einem Jahrzehnt hat eine andere Militantengruppe, die Bewegung für die Emanzipation des Nigerdelta die Ufer unsicher gemacht und Pipelines gesprengt. Die Bundesregierung zügelte sie, wie Paul Boroh, ein ehemaliger Brigadegeneral und Sonderberater von Herrn Buhari für das Programm meint, indem sie für die etwa 30.000 Militanten und Bewohnern ein Anmestieprogramm aufsetzten, das ihnen Bargeld und Ausbildungsplätze versprach, darunter einige im Ausland.
Aber da das Programm mit Öleinnahmen finanziert wurde und der Ölpreis gefallen ist musste der Präsident Ende letzten Jahres bereits überlegen, ob das Amnestieprogramm beendet werden muss. Herr Boroh sagte, er konnte sich erfolgreich für das Programm einsetzen, aber es wird nun über die kommenden zwei Jahren stufenweise beendet.
Die Rächerbewegung kam just zu dem Zeitpunkt auf, als der Präsident über das Ende des Programms entscheiden musste, was viele Anwohner im Nigerdelta spekulieren liess, ob die zwielichtige Gruppe sich aus ehemaligen Militanten zusammenstzt, die hofft, die Amnestiezahlungen weiter zu erhalten.
Das Amnestieprogramm ist aber nicht allzu beliebt in der Gegend. Viele Anwohner sagen, die Zahlungen werden regelmässig von korrupten Gemeindevorstehern umgeleitet. Andere sagen, die Ausbildungsplätze waren so gut wie nutzlos. Ölfirmen bevorzugen Ausländer, beschweren sie sich, oder sie stellen Anwohner nur auf Zeit ein - und danach kommt nichts.
Das Programm schickte Mike Gomero, einen ehemaligen Militanten auf eine zweiwöchige Fortbildung nach Südafrika, um die LEhren von Mohandas K. Ghandi und Martin Luther King Jr. zu lernen. Er srengt jetzt keine Pipelines mehr. Aber eine Arbeit hat er noch immer nicht.
"Das Amnestieprogramm ist keine Lösung," sagte Williams Welemu, ein ehemaliges Mitglied der Emanzipationsbewegung für das Nigerdelta. "Es lindert nur die Symptome."
Gemeinden wie Ugborodo, die sich weit in den Sümpfen liegen, dass vom Festland aus mit einem Schnellboot mindestens zwei Stunden dauert um hinzukommen, sind übersäht mit Häusern, die nur wenig mehr darstellen als kleine Zinnhüte auf Inseln, die ins Meer sinken. Sie sind gefüllt mit arbeitslosen Bewohnern, die alle ausgebildet sind als Geologen, Rohrverleger und Meeresingenieure.
Einer von ihnen ist Collins Bemigbo, der neben einem verschmutzten Sumpf steht und hinter dem die organge Flamme eines rießigen Chevron Terminals den Himmel erleuchtet. Er beschwerte sich über den Mangel an Sanitäranlagen, einer guten Gesundheitsversorgung und einer weiterführenden Schule und dann zeigte er auf ein dickes Rohr, das aus dem Wasser ragt.
"Wollte ich eine Pipeline sprengen, ich könnte es direkt hier machen," sagte Herr Bemigho. "Belohnt für unser Wohlverhalten werden wir leider nicht."
Im Original: Nigeria Finds a National Crisis in Every Direction It Turns
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