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Donnerstag, 18. Februar 2016

The Spectator: Putin gewinnt in Syrien - aber er schafft sich damit einen neuen mächtigen Feind


 
Dieses Mal nimmt er es mit dem türkischen Präsident Erdogan auf, einem Herrscher, so rücksichtslos wie er selbst. Von Owen Matthews, 20. Februar 2016


Die russische Bombardierung der Stadt Aleppo diese Woche beinhaltete eine klare Botschaft: Wladimir Putin hat das Endspiel in Syrien voll im Griff. Moskaus Plan - im Grunde genommen bestehend aus der Wiederherstellung der Macht von seinem Verbündeten Bashar al-Assad - wird bald zur Realität werden, die der Rest der Welt akzeptieren muss. Amerika, Großbritannien und dem Rest mögen Putins Ambitionen im Mittleren Osten nicht gefallen, oder die Mittel, um sie zu verwirklichen. Aber die Vorstellung einer Unterstützung von "moderaten Oppositionellen" in Syrien hat sich als ein Phantasie entpuppt, die das Feld freimacht für Putin und Assad.

Die teilweise Waffenruhe in Syrien, die letzte Woche in München vom Amerikaner John Kerry ausgehandelt wurde, dient eigentlich nur den Eindruck für Putins Macht zu verstärken. In den Details des Vertrags werden alle Konfliktparteien zum Einstellen der Feindseeligkeiten aufgefordert, um humanitäre Hilfe in die von Rebellen gehaltene Zone kommen zu lassen, die von Regierungstruppen belagert wird. Außer Russland, dessen Pläne weiterhin im Bombardieren "terroristischer Ziele" besteht - und da Assad darauf besteht, dass alle seine Feinde "Terroristen" seien, bedeutet die Münchener Feuerpause für syrische und russische Militärflugzeuge im Endeffekt nur, dass es weitergeht wie bislang. In den letzten Tagen wurde das Médecins Sans Frontières Krankenhäuser in den von Rebellen gehaltenen Orten Idlib und Azaz bombardiert, sowie Positionen, die von der Freien Syrischen Armee gehaltenen nördlichen Vororte von Aleppo. Als Antwort auf die internationale Verurteilung dessen hat das russische Außenministerium erklärt, dass es "nach wie vor keine überzeugenden Beweise erhielt hinsichtlich ziviler Toter als Ergebnis der russischen Luftschläge".

Die Präsidenten, Putin wie Obama haben versucht, im Konflikt militärisch einzugreifen, aber die Erfolge waren alle russisch. Zwischen August 2014 und Dezember vergangenen Jahres verbuchte die US-Luftwaffe 4.669 Luftschläge, um die flüchtige "moderate Opposition" Syriens zu unterstützen und ISIS zu dezimieren. Während dies strategisch aber nur einen geringen Einfluss hatte erwies sich die russische Luftüberlegenheit als entscheidend. Seit letztem September ist eine einzige russische Bomberstaffel an die 510 Einsätze geflogen und hat damit den Verlauf des Krieges zu Assads Gunsten verändert. Russische Technik und Panzer haben der fast schon geschlagenen syrischen Armee neue Leben eingehaucht. Zum scheinbaren Schutz der Luftwaffenbasis in Khmeimim wurden dort russische T-90 Panzer stationiert, die aber an der Speerspitze gesichtet wurden bei Angriffen der syrischen Armee gegen Rebellenrückzugsorte südlich von Aleppo.

Putin versucht ebenso, die kriegführenden syrischen Fraktionen zu versöhnne. Während das Pentagon Milliarden ausgab, um eine Armee mit demokratiefreundlichen Moderaten aufzubauen, die sich am Ende als Luftnummer erwies, hat der russische Geheimdienst mit seinem syrischen Gegenpart daran gearbeitet, Rebellengruppen zu identifizeren, die eventuell bereit wären, mit Assad einen Handel einzugehen. Die Führungsschicht des syrischen Militärs wurde während des kalten Krieges weitgehend in Moskau ausgebildet. Laut eines gut informierten russischen Diplomaten hat der Kreml eine Liste mit 38 Oppositionsgruppen als potentiellen Verbündeten erstellt, um diee sie seit vergangenem Oktober auch aktiv buhlen. Die Liste umfasst angeblich den Präsidenten des syrischen Nationalrates Khaled al-Khoja, wie auch dessen drei Vorgänger - Ahmad Jarba, Ahmad Moaz al-Khatib und Hadi al-Bahra.

Während dem Winter waren einige der Rebellenführer in Moskau um die Bedingungen auszuhandeln - mit durchwachsenem Erfolg. Ende letzten Monats fiel ein russischer Versuch, mehrere syrische Oppositionsgruppen in Moskau zusammen zu bringen in sich zusammen. Brigadegeneral Manaf Tlass, ein enger Assad Verbündeter, der von 2012 von der syrischen republikanischen Garde defektiert ist hat einen 11-Punkte-Plan als "Nationales Projekt" erstellt, das eine allgemeine Feuerpause beinhaltet, gefolgt von einem gemeinsamen Angriff aller Rebellen und des Regimes gegen ISIS. Es ist ein Vorschlag, der vom russischen Außenminister Sergej Lawrow unterstützt wird und als Teil einer größeren Strategie betrachtet wird, die Russland 2005 bereits erfolgreich in Tschetschenien verfolgt hat: Alle Rebellen werden mit einem Platz am Siegertisch belohnt, wenn sie bereit sind die Seiten zu wechseln während alle anderen rücksichtslos bombardiert werden.

Russlands neue beste Freunde sind die syrischen Kurden. Zu Beginn dieses Monats hat die "Demokratische Selbstverwaltungsbehörde von Rojava" sich selbst zur neuen Regierung in den kurdisch gehaltenen Teilen Nordsyriens ernannt und seine erste Auslandsvertretung eröffnet - in Moskau. Zur selben Zeit wurden 200 russische Militärberater in die kurdisch kontrollierte Stadt Qamishli geschickt, die direkt an der türkischen Grenze liegt, um einen Militärflughafen für Russland zu sichern. Dadurch bekommt Russland eine starke Basis, von wo aus es ISIS in Norostsyrien angreifen und gleichzeitig seine neuen kurdischen Freunde von einem Angriff aus der Türkei schützen kann.

Ein erweitertes kurdisch-russisches Bündnis könnte sich für Assad als spielentscheidend erweisen - aber es erhöht ebenso das Risiko sehr stark, dass der Syrienkonflikt in einen größeren Krieg übergehen könnte. Ein Abkommen zwischen der kurdischen YPG Miliz und Damaskus würde den Nachschub für die US-gestützten demokratischen syrischen Kräfte abschneiden - einer Koalition, die Araber und Assyrer beinhaltet - und von denen einige sehr effektive Soldaten sind. Es würde ebenso die US Politik in Syrien verkomplizieren, da die Kurden seit Jahren Washingtons engste Verbündete sind.

Die Gefahr der russischen Avancen gegenüber den Kurden liegt in der Gefahr, dass es Moskau auf einen direkten Konfrontationskurs mit den Türken bringen könnte. Ankara betrachtet die syrisch-kurdische YPG als eine Filiale der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK, die seit letztem Sommer erneut mit  türkischen Staat bekriegt. Der öffentlich hart auftretende Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat wiederholt erklärt, dass er keinen de-facto syrisch-kurdischen Staat an der Südgrenze tolerieren würde.

Vergangene Woche hat die türkische Armee - immerhin die zweitgrößte der NATO - Erdogans Worten Taten folgen lassen und YPG Stellungen über die Grenze mit Artillerie beschossen, und das angeblich zur Selbstverteidigung. Darüber hinaus sagte Erdogan kürzlich, dass die türkisch-amerikanische Pufferzone 2003 im Nordirak den Irak vor den heutigen Problemen mit ISIS bewahrte. Erdogan fügte hinzu, dass er "derzeit" keinen Bedarf sehe für eine vergleichbare Pufferzone in Nordsyrien - aber sagte auch, dass das türkische Militär die parlamentarische Rückendeckung besitzt nach Notwendigkeit eine solche zu installieren.

Viel beunruhigender als das ist, dass Putin und Assaf d.er türkischen Armee vorwarfen, über den Grenzübergang von Bab al-Salam an von Ankara unterstützte Rebellengruppen auf syrischem Boden Waffen zu liefern. Die Russen erwarten von der Türkei noch weiter zu gehen. "An einem bestimmten Punkt ist eine volle türkische Intervention unabwendbar," teilte Fydor Kukyanov letzte Woche Bloomberg mit, der Russlands Rat für Außen- und Verteidigungspolitik vorsitzt. "Es würde damit zu einem völlig neuen Konflikt, der weit größere Kräfte beinhaltet, die auf oppositioneller Seite kämpfen mit dem Risiko einer direkten türkisch-russischen Konfrontation." Die nationalistisch gesinnten Medien auf beiden Seiten fechten bereits den Krieg der Worte aus. Ein weiterer Zusammenstoss ist sehr wahrscheinlich - der etwa beginnen könnte mit einem russischen Luftangriff auf türkische Truppen, die sich in Syrien bewegen - und würde dann sehr schnell eskalieren. In diesem Fall könnte die Türkei möglicherweise Artikel fünf des NATO Vertrages aktivieren, der besagt, dass "ein bewaffneter Angriff auf ein [Mitglied] erachtet wird als ein Angriff gegen alle". Das furchtbare Ergebnis: Ein Krieg zwischen der NATO und Russland.

Zur weiteren Verkomplizierung der Situation hat Saudi Arabien letzte Woche Kampfflugzeuge in die Türkei gebracht, um Angriffe in Syrien zu fliegen - und sowohl der türkische als auch der saudische Außenminister haben darin übereingestimmt, dass die Saudischen Spezialeinheiten, die über die Türkei in den Einsatz werden möglicherweise an einer zukünftigen Operation teilnehmen werden, um Rakka von ISIS zu befreien. Saudische Truppen auf syrischem Boden aber wären ein weiteres rotes Tuch für Assads anderen Hauptverbündeten Iran - dessen Truppen seiner Revolutionsgarden bereits in Syrien kämpfen.

In seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat US-Senator John McCain zutreffenderweise prognostiziert, dass Russland die momentane Waffenruhe nicht respektieren wird. "Russland baut auf seine militärische Überlegenheit, schafft neue Fakten auf dem Boden, streitet ab und nutzt die Lieferung humanitärer Hilfe als Mittel, es verhandelt an einer Lösung, um die Kriegsbeute zu sichern, und entscheidet dann, ob es weiterkämpfen will," sagte er. "Das einzige, was sich an Herrn Putins Ambitionen geändert hat ist, dass sein Appetit wächst, je mehr er isst."

Sicherlich beinhaltet Putins Plan in Syrien die Ablenkung der internationalen Aufmerksamkeit von seiner eigenen nicht abgeschlossenen Intervention in der Ukraine. Der Konflikt hat Russland einiges gekostet: Die internationalen Bankensanktionen und die fallenden Ölpreise haben die Inflation geschürt und den Wert des Rubels halbiert. Putin hat zudem Ambitionen, den Status seines Landes als Weltmacht wieder herzustellen. Und er würde seinen potentiellen Verbündeten im Mittleren Osten, wie auch der übrigen Welt gerne zeigen, dass Russland zu seinen Freunden steht. Das erste Mal seit den 1980ern ist Moskaus militärischer und diplomatischer Rückhalt wirklich etwas wert.

Putins Eingriff in Syrien ist ein rücksichtsloser Akt der geopolitischen Freibeuterei - wie auch seine Invasion in Georgien 2008 und die Annexion der Krim 2014. Aber man muss sich auch die Frage stellen: Sollte Assad am Ende gewinnen und Friede herrschen, war Putins Plan dann wirklich so schlecht? Washington und Moskau haben viele gemeinsame Ziele: Das Ende der Feindseligkeiten auf dem Boden, die Zerstörung radikalislamischer Gruppen wie ISIS oder die Al-Nusra Front, die Etablierung einer Übergangsregierung und schlussendlich freie Wahlen. Die Amerikaner wären sogar bereit eine Kernforderung der Rebellen aufzugeben - dass die Person Assad von der Macht entfernt wird. Sie stimmen darin überein, dass er wenigstens für eine Übergangszeit an der Macht bleiben könnte.

Falls Putins Gambit Frieden nach Syrien bringt, selbst einer unter Assads Bedingungen, dann könnte dies eines Tages als Erfolg verbucht werden, auch wenn es ein selbstverliebter war. Aber es ist auch Putins bislang riskantestes Manöver und es wird jede Sekunde gefährlicher. Bislang bestanden Putins Gegner aus unorganisierten Regimen der ehemaligen Sowjetrepubliken. In seinem Syrienkrieg aber hat er es zu tun mit einem Herrscher, der noch cholerischer und rücksichtsloser agiert als er selbst - Erdogan - und dem zunehmend bellizistichen Saudi Arabien. Die Aussicht auf Frieden in Syrien hängt nun von der Weisheit, der Zurückhaltung und der Gutwilligkeit von Putin und Erdogan ab: Keine allzu rosige Aussicht.


Owen Matthews ist Mitherausgeber des Newsweek Magazins und berichtet aus Istanbul.


Im Original: Putin’s winning in Syria – but making a powerful new enemy

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