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Samstag, 13. Februar 2016

The Spectator: Das Aleppo Notizbuch - Die terroristischen Belagerer der Stadt werden nun selbst belagert




Wieder und wieder wurde ich gefragt: Warum unterstützt Britannien die Terroristen im syrischen Bürgerkrieg. Von Peter Oborne, 13. Februar 2016





Ewigkeiten habe ich versucht nach Aleppo zu kommen, konnte es aber nicht, da die Rebellenaktivitäten die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten haben. Die Erfolge des syrischen Regierungsmilitär zu Beginn dieses Januars bedeuteten, dass es nun wenigstens eine sichere Straße gibt. Ich engagierte einen Fahrer, bekam einen Aufpasser der Regierung (sehr nützlich bei Kontrollpunkten), und buchte ein Hotel. Auf der Fahrt von Damaskus aus nach Norden nahmen wir einen 22 Jahre alten syrischen Armeeleutnant namens Ali mit, der zu seiner Einheit zurückkehrte nach einem 8 Tage Urlaub bei seiner Familie.

Wir fuhren durchs Homes - Kilometer um Kilometer nur Zerstörungen - und dann östlich auf der Straße nach Rakka. Ali erzählte mir, er wurde zum Kuweires Militärflughafen östlich von Aleppo versetzt, welcher drei Jahre lang belagert wurde durch Al Nusra und den Islamischen Staat. Er sprach von täglichen Schusswechseln gegen ISIS Kämpfer.

Für lange Zeit war seine Einheit komplett abgeschnitten. Als Ali in die Brust geschossen wurde gab es keine Möglichkeit ihn per Hubschrauber auszufliegen. Er rekonvaleszierte in einem Feldkrankenhaus. Letztlich wurde die Belagerung gesprengt und Ali konnte nach Hause gehen, um seine Eltern das erste Mal nach zwei Jahren zu sehen. "Das Geheimnis an Kuweires war die Loyalität der Soldaten. Wir hatten keine Panzer. Ich verlor 82 Kameraden," sagte Ali. Nun säubert seine Einheit rund um Al-Bab bis zur Ostgrenze von Aleppo eine Position des Islamischen Staates nach der anderen auf.

Als wir Aleppo erreichten gab es bereits 112 Tage keine Elektrizität und kein Wasser seit fast zwei Wochen. Improvisierte Mörser - Benzinkanister mit genug Explosivität, um ein Gebäude zu zerstören - können überall herunterfallen. Siebzehn der rießigen Studentenwohnheime der Universität werden nun genutzt für vertriebene Familien aus den Gebieten, die von Rebellen besetzt sind.
       
Diese Flüchtlinge sind überall. Ich klopfte an der Tür des Baron's Hotel, einem berühmten Haus in der Innenstadt von Aleppe, wo Agata Christie "Murder on the Orient Express" schrieb. Dort erfuhr ich die traurige Nachricht, dass der charismatische Eigentümer Armen Mazloumian verganene Woche an einem Herzinfarkt starb. Seine Witwe Rubina erzählte mir, dass er sich weigerte, sein Hotel zu schliessen als die Krise begann und seine Türen anstatt dessen für ländliche Opfer des Dschihadistenterrors öffnete.

Der beliebteste Film in Aleppo diesen Winter ist "Bridges of Spies", Steven Spielbergs Meisterwerk über Spionage im Kalten Krieg. Ein Film, den die Aleppaner lebhaft nachvollziehen können. Sie leben an einem Ort, wo Überleben bedeutet, zur gegnerischen Seite zu gehen, um Abmachungen über Wasser, Elektrizität und Geiseln zu treffen. Aleppo kennt Charaktere, die sogar noch heroischer sind als James Donovan, dem von Tom Hanks gespielten Rechtsanwalt, der nach Ostberlin reiste, um die Freilassung von Gary Powers zu verhandeln. Im Bildungsministerium traf ich eine Lehrerin, die gerade eine 5-Tage-Reise hinter sich gebracht hatte durch endlose Kontrollpunkte des Islamischen Staates, um ihren Lohnscheck abzuholen. Sie war gerade dabei nach Hause zu gehen im vollen Bewusstsein, was vor ihr lag. Syrische Armeetruppen rücken auf ihren Ort zu. "Der Islamische Staat wird uns in menschliche Schutzschilde verwandeln," erzählte sie mir.

Meine Zeit in Aleppo fiel zusammen mit dem Wendepunkt im syrischen Bürgerkrieg. Assads Kräfte schnitten mit russische Luftunterstützung die Versorgungslinie von der türkischen Grenze zu den Dschihadistenkräften ab, welche die von der Regierung gehaltenen Gebiete der Stadt umkreisten. Ohne frische Kämpfer, Waffen und Munition von ihren türkischen Unterstützern sind Al Nusra und andere Gruppen langfristig mit ihrer Belagerung verloren. Dem Islamischen Staat, der sein Öl über die Türkei verkauft wird bald das Geld ausgehen. Man denke an Stalingrad 1942: Die Belagerer werden nun belagert.

Als ich nach London zurückkehrte las ich in den Zeitungen, dass die Wende der Ereignisse als Unpässlichkeit wargenommen wurde. Natürlich hängt dies von der eignen Position der Betrachtung ab. Das von der Regierung gehaltene Aleppo wurde bis fast ans Ende des letzten Jahres von dschihadistischen Kräften belagert. Das wurde nie berichtet. Nun kommen die Gebiete, die von den Rebellen gehalten werden unter Belagerung. Dies wird in der westlichen Presse als Katastrophe dargestellt und es gab eine besorgte Antwort des britischen Außenministers.


Wieder und wieder wurde ich gefragt: Warum unterstützt Großbritannien die Terroristen? Westliche Medien rücken Assads Greueltaten zurecht ins Schlaglicht. Aber die Aleppaner, mit denen ich sprach betonten immer, dass Frauen unter Assads Regime alleine die Straße entlang laufen und einer Karriere nachgehen können; dass in den Schulen ein weitgehend liberales Curriculum unterrichtet wird; dass Christen in ihren Kirchen beten dürfen und Muslime in ihren Moscheen. Diese Aleppaner haben unter der Belagerung von Gruppen gelitten, die versessen sind auf das Auferzwingen einer mutierten Version des Wahhabi Islam. Sie wissen, dass viele ihrer Kämpfer Ausländer sind, deren Ambition, die von Türkischen und Saudischen Untertützern angetrieben werden, darin besteht, die tolerante Kultur Aleppos auszulöschen und auch den letzten Christen aus der Stadt zu vertreiben. Diese Aleppaner haben irgendwo recht. Wenn die Geschichte des syrischen Bürgerkrieg einmal fertig geschrieben sein wird, dann werden die Historiker sich tatsächlich mit der Frage auseinandersetzen müssen: Warum hat die britische Regierungspolitik die antike Stadt Aleppo in ein heutiges Kandahar verwandelt?


Peter Oborne ist politischer Kolumnist der Daily Mail und Mitherausgeber von The Spectator.


Im Original: Aleppo Notebook: the city’s terrorist besiegers will now be besieged

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