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Donnerstag, 14. Juli 2016

The Spectator: Das Borisarchiv - In Afrika regiert das Chaos, aber der Kolonialismus ist nicht schuld daran



Dieser Artikel wurde am 2. Februar 2002 im Spectator abgedruckt und stammt von Boris Johnson, dem neuen Außenminister und ehemaligen Redakteur des Magazins.


Man bräuchte ein Herz aus Stein, um nicht von den kleinen von Aids geplagten Chorsängern berührt zu werden. Wir saßen unter einem Mangobaum und vor einem Tanzbereich aus roter Erde und was für eine alberne Delegation wir nur waren. Da war Herr Rod Liddle, dem großen weißen Chef des Today Programms, und nicht allzu gepflegt in seinem Äußeren. Dann war da Vicky Scott von Unicef und natürlich der Autor dieses Artikels, der wiederholt mit dem vornehm klingenden Titel "Der ehrenwerte Herr Johnson" bezeichnet wurde. Und wie wie so in unseren Armsesseln saßen und vor uns hinschwitzten hat sich vor uns in einem Halbkreis ein Chor versammelt: Dutzende kleiner Kinder in filiranen, gestickten Kleidern. Ihre Eltern waren fast alle tot und bei einigen der Kinder standen die Wirbel bereits deutlich aus dem Genick heraus - einem Symptom, dass die Krankheit sich auf ihr finales Stadium zubewegt. Auf das Signal ihres Lehrers hin begannen sie das Lied "She'll be coming round the mountain" anzustimmen: Wir sind glücklich und bereit für dich, will-o-kommen; wir sind glücklich und bereit für dich, will-o-kommen; wir sind glücklich und bereit für dich, bereit für dich, bereit für dich, will-o-kommen. Dann tanzten sie, magischerweise auch jene von der Krankheit gezeichneten.

Glauben Sie mir, Sie werden rot, Sie fetter, weißer Chef, wenn Sie bei so etwas dabei sind. Man ist verlegen und schämt sich in sich herein und es ist das Gefühl von Scham, das man gerne los wäre. Es war als würden sie uns irrtümlicherweise behandeln wie den Duke von Kent. Man stelle sich nur vor, mit welcher Begeisterung Afrika Tony Blair entgegengebracht wird, wenn er nächste Woche in seinem großen weißen Vogel entschweben wird. Letztes Jahr sagte er auf einer Labour Parteikonferenz, Afrika sei ein "Schandfleck auf unserem Gewissen". Letzte Woche regte sich Jack Straw im Guardian über die Ungerechtigkeit des kolonialen Erbes auf.

Der Himmel weis, was sich der Außenminister für Blair ausgedacht hat, oder wie sehr der britische Ministerpräsident die Segel zur Veränderung setzen wird. Aber um der Aufrichtigkeit und der Vernunft Willen müssen wir hoffen, dass er nicht Großbritannien oder der Kolonisierung die Schuld gibt, oder dem weißen Mann. Der Kontinent mag ein Schandfleck sein, aber er liegt nicht auf unserem Gewissen. Das Problem ist nicht, dass wir hier einst am Ruder waren, sondern dass wir es nicht mehr sind.

Man denke nur an Uganda, der Perle Afrikas, als ein Beispiel des britischen Tuns. Sind wir schuld an der Sklaverei? Pffft. Es war einer der ersten Pflichten von Federick Lugard, der Buganda in den 1890ern kolonisierte, es mit den arabischen Sklavenhändlern aufzunehmen und sie zu besiegen. Und glauben Sie blos nicht diesen Nonsens darüber, wie wir die "falschen Pflanzen" anbauten. Uganda wimmelt, spriesst und explodiert geradezu von Vegetation. Man wird seltene und seltsame Früchte finden, etwa die Jackfruit, die größer ist als ein Kopf und bedeckt ist mit viereckigen Pusteln. Und obwohl sie gut riecht schmeckt sie mehr oder weniger eklig, weshalb nicht einmal das protzige Waitrose diese im Angebot hat.

Daher pflanzten die Briten Kaffeee, Baumwolle und Tabak an und sie lagen damit im Allgemeinen richtig. Es ist wahr, dass die Kaffeepreise gegenwärtig niedrig sind; aber das ist die Schuld der Vietnamesen, die zur Zeit schamlos den Markt schwemmen und nicht die Schuld der Plantagenanleger von vor 100 Jahren. Auf sich selbst gestellt haben die Einheimischen sich auf nichts anderes verlassen als auf die kohlenhydratreiche Sofortgratifikation des vorhandenen Pflanzenwuchses. Nie zuvor gab es einen Ort der so sehr von Bananen gestrotzt hat: Große, grüne, fassgroße Sträuße, aus denen Matooke gemacht wurde. Auch wenn diese Mahlzeit (im Grunde genommen fritierte Bananen) gerne genossen wurde von Idi Amin, so sahen die Kolonisten die doch eher begrenzten Exportmöglichkeiten des Produkts.

Überall gleiten Menschen ziemlich langsam auf großen schwarzen Fahrrädern vorbei. Sie sind alle importiert: Selbst heute können die Uganda noch immer nicht ihre eigenen Fahrräder herstellen. 1956 hatte Ghana einen größeren BIP als Malaysia und Ägypten und Südkorea waren wirtschaftlich gleichauf. Man man da wirklich die Kolonisierung verantwortlich machen für die erst danach entstandene Entwicklungsdivergenz? Die Malayen haben Klimaanlagen und Computer; 90 Prozent der Ugander leben unter Steinzeitbedingungen - in runden Schlammhütten mit einer eingegrabenen Feuerstelle in der Mitte und Bastmatten als Betten und eine Lebenserwartung von 42.

Es ist einfach nicht überzeugend, dass Afrikas Probleme 40 Jahre danach auf "Linien auf der Landkarte" zu reduzieren, den willkürlichen Grenzziehungen der Männer auf dem Sonnendeck. Wir fuhren mit Unicef in den Norden des Landes, um die Folgen des Krieges gegen die "Lord's Resistance Army" zu betrachten, einer Bande von durchgeknallten Milizionären, die von einem Joseph Kony angeführt werden, einem Charismariker in allen Facetten. Wir waren erstaunt von den Aussagen der Kinder, die von Kony entführt wurden und die den Weg zurück gefunden haben.

"Wir haben vergewaltigt, wir haben gemordet," sagte mir einer von ihnen, bevor er weitermachte mit der Beschreibung, wie er selbst ein Mädchen bestafte, das wegrennen wollte. "Ich habe sie aufgeschnitten," sagte er in einer Weise, die mich so sehr verblüffte, dass ich meinen Kopf schüttelte und nur noch sagen konnte, "Mach dir nichts draus. Vergiss es einfach." Ich nehme an, es wr nicht wirklich seine Schuld, dass er von Kony entführt und zum Morden gezwungen wurde - und es war verdammt nochmal auch nicht unsere Schuld.

Im Grunde genommen ist es ein tribaler Konflikt, einer zwischen dem Norden und dem Süden. Die Achole im Norden werden in großen Lagern gehalten, vorgeblich um sie zu schützen, während Präsident Musevenis Truppen in lustlosen Aktionen die Rebellen verfolgen. Vielleicht hätte man die Karte Aftikas anders zeichnen können, um dem den hunderten Stämmen gerecht zu werden; aber keines der möglichen Designs hätte die Fehde zwischen den Acholi und den Baganda beendet. Wie ein britischer Vertreter meinte, "Ich bin jetzt seit Ewigkeiten in Afrika und da ist so eine Sache, die ich nicht begreife. Warum sind sie nur so brutal zueinander? Wir behandeln sie vielleicht wie Kinder, aber wir sind nicht der Grund, weshalb sie sich wie die Kinder in Herr der Fliegen benehmen.

Und es ist letztlich auch absurd zu sagen, dass wir Afrika den Rücken gekehrt hätten. Spenderländer sind für 52 Prozent von Ugandas öffentlichen Ausgaben zuständig und Europäer und Amerikaner sorgen für die Versorgung mit einer neuen imperialen Klasse von Hilfsarbeitern, die energisch und über die Maßen politisch korrekt vorgehen. Sie bauen Latrinens, schöne Betongebäude, die schon bald als Wohnraum umgenutzt werden, da sie stabiler sind als die Hütten; sie verteilen Kondome und das unter dem spöttischen Gejohle der Viehdiebe von Karamojong.

Es sind nicht nur unsere Strukturen, die wir an das ugandische Parlament exportiert haben. Mit fünf Sitzen, die für Behinderte reserviert sind, fünf für die "Jugend" und 54 nur für Frauen ist es auch die politisch korrekteste Versammlung der Welt. Ich werde nie die Gesichtsausdrücke der Dorfältesten vergessen, die uns unter einem Jacarandabaum trafen. Da waren sie, strahlend von Stolz an einem neuen von Unicef finanzierten Dorfsammelplatz, als ein norwegisches Unicef Mädchen vortrat. Sie trug Lippenstift, Ohrringe, teure Schule und bellte in aller Ernsthaftigkeit "Wo sind die Frauen?"

"Warum gibt es in dieser Gruppe keine Frauen?" wollte sie wissen und die armen Typen kratzten sich an ihren aidsgeplagten Köpfen. Fast jeder Hilfsdollar aus dem Westen scheint an irgendein Programm für Frauenemanzipation gekoppelt zu sein - die Ausrottung der Genitalbeschneidung, Ploygamie, Brautpreise oder was auch immer. Und während einige Leser vielleicht meinen, dass afrikanischen Männern nicht einfach so ihre althergebrachten Vorrechte weggenommen werden sollten, so kann man doch nicht übersehen, mit welcher - an Bessessenheit grenzender - Sorgfalt westliche Arbeiter ihre Ziele verfolgen.

Tief im Busch und in gebrochenem Englisch erzählen einem die Empfänger der Hilfe, wie "emanzipiert" sie sich fühlen, "Empfänger" zu sein der "sozialen Unterstützungsprogramme". Es ist kein Wunder, dass die Hilfsindustrie in Uganda bei weitem der größte Wirtschaftszweig ist und die intelligentesten und ambitioniertesten anzieht. Im Verlauf von fünf Minuten, als wir auf einem Feldweg in Kamapla fahren erkannte ich die Logos der Hauptquartiere folgender Organisationen: Uganda Zentrum für Entwicklung und marginalisierter Kinder; Kampala Schule für die physisch Beeinträchtigten; Schick ne Kuh nach Uganda; Uganda Netzwerk für Aids Hilfsorganisationen; Zentrum für Afrikanische Entwicklungsinitiativen; das Ugandische Frauenfinanzierungswerk für die wirtschaftliche Emanzipazion von Frauen in Uganda.

Martin Mogwanja, Unicefs Mann in Kampala, erzählte mir, dass es noch hunderte weitere gibt, die meisten davon bestehend aus einer Person in einem Büro, die auf eine glückliche Fügung hofft mit, sagen wir, immer spendablen Lesern des Daily Telegraph. Natürlich korrumpiert Hilfe, lenkt sie ab und infantilisiert die Betroffenen; aber diese Bedenken werden überlagert von den kurzfritistigen positiven Effekten, die sie haben kann. Wir haben gesehen, wie westliches Geld verwendet wurde, um hunderte schwangere Frauen auf Aids zu testen und wir sahen die Beratungen, die sie erhielten, als ihr Blutserum sich auf der Glasscheibe so veränderte, dass sie - wie auch ihr ungeborenes Kind - im Schnitt noch acht Lebensjahre vor sich hatten.

Selbst wenn man nicht überzeugt ist, dass die Programme helfen, dann sollte man sich aber sicherlich nicht schuldig fühlen, angesichts dessen was wir tun. Wir sind jenseits davon, Uganda im Stich zu lassen, Großbritannien ist dort stark vertreten und wird immer größter. Martin, der Unicef Mann wurde in Leeds ausgebildet. Der vorzüglich staatmännische König Ronnie, Kabaka von Baganda, ist das Produkt von Bradfield und Cambridge. Auch British Airways macht alles mögliche. Großbritannien ist der größte bilaterale Spender mit seinen 68 Millionen Pfund im Jahr; und mit 137 Millionen an Exporten sieht es aus wie eine gute Investition.

Es ist noch immer ein Land, wo zu viele Menschen auf dem Boden liegen und langsam mit ihren Händen die Fliegen vom Gesicht wischen. Zu viele Menschen wühlen ziellos im Müll herum und leisten sich dabei einen Wettbewerb mit Maraboustörchen. Zu viele Menschen sterben. Aber die Epidemie geht zurück von einem Hoch von 30 Prozent und in einer Gesellschaft, die ein Flächenbombardement an Verhütungskampagnen erlebte, und wo sie über die Gründe für den Wandel nachdenken. Die Wirtschaft wächst jährlich um 6 Prozent; und auch wenn Museveni kein Demokrat ist, so ist er auch kein Mugabe. Sollte Blair über einen Verstand verfügen, dann wird er seine Hände nicht wegen Afrika falten. Er wird uns dazu aufrufen, unseren Urlaub hier zu verbringen - und was könnte besser sein als die Wasserfälle von Murchison Falls.

Er sollte uns davon überzeugen, uns eine kleine Insel im Victoriasee zu schnappen, in Hotels zu investieren, und in Fernseh- und Handyfirmen. Das beste Schicksal für Afrika wäre, wenn die alten Kolonialmächte, oder ihre Bürger sich ein weiteres Mal in diese Richtung aufmachen; allerdings im Verständnis, dass wir dieses Mal nicht dazu gebracht werden uns schuldig zu fühlen.


Im Original: The Boris archive: Africa is a mess, but we can’t blame colonialism

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