Der idyllische Küstenort am Mittelmeer hat ein ernstes Problem mit islamistischer Radikalisierung. 15. Juli 2016
Eine der verstörenden Fragen die momentan nach dem neuesten terroristischen Horror das französische Bewusstsein bevölkern ist eine mehr als bekannte: Warum Frankreich? Das war jetzt schon der dritte große Anschlag auf französischem Boden nach den Morden von Charlie Hebdo im Januar 2015 und dem bislang blutigsten in Frankreich, den Morden im Bataclan im November letzten Jahres. Es ist für viele Franzosen unverständlich, weshalb ihr Land so viel mehr gelitten hat als andere in Europa. Aber dieser neueste Anschlag wirft eine neue und noch verwirrende Frage auf: Warum Nizza?
Mit seinen reich verzierten Kirchen und palmengesäumten Stränden ist Nizza am besten bekannt als Touristenziel. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die Stadt eines von Frankreichs unlösbarsten Problemen der islamischen Radikalisierung außerhalb des Großraums Paris gegenübersteht. Französische Nachrichtenberichte haben den Verdächtigen des Verbrechens am Dienstag als Mohamed Lahouaiej Bouhlel identifiziert, einem Franzosen mit tunesischen Wurzeln - und Einwohner der Stadt, die er angriff.
Bis Anfang des Jahres haben sich mindestens 55 Einwohner von Nizza und anderen Orten aus dem Departement Alpes-Maritimes, das die Côte d’Azur abdeckt, aufgemacht um in Syrien und im Irak zu kämpfen. Darunter waren 11 Mitglieder einer einzigen Familie. Die Regionalregierung hat kürzlich fünf Untergrundgebetsräume geschlossen, die im Verdacht standen den gewaltsamen Islamismus zu predigen. (insgesamt gibt es etwa 40 Moscheen in und um Nizza herum). Weil sie über den Strom an Dschihadisten zunehmend besorgt waren hat Alpes-Maritimes als eines der ersten Departements ein Frühwarnsystem für Familien, Schulen und örtliche Dienstleister eingeführt, um die Personen von der Reise nach Syrien abzuhalten, und um alle, die gefährdet sind für die Radikalisierung an eine Spezialeinheit zu übergeben.
Wie die meisten Großstädte Frankreichs hat auch Nizza eine große muslimische Bevölkerung; mehrere von ihnen wurden bei dem LKW Angriff getötet. Sie konzentrieren sich in den Wohnblocks, welche die steilen Innentäler füllen, die eine kurze Fahrt von der Küste entfernt sind, und wo die Nachbarschaften eine Menge junger Köpfe hervorbringen, die zum leichten Opfer den örtlichen Dschihadistenrekrutierer werden. Einer tat sich besonders hervor, Omar Omsen, auch bekannt als Omar Diaby, der den örtlichen Sicherheitsbehörden gut bekannt war und von dem angenommen wurde, dass er letztes Jahr in Syrien getötet wurde - allerdings lassen neuere Berichte vermuten, dass er noch immer am Leben ist und seinen Tod nur vorgetäuscht hat.
Es bleibt offen, ob Omsen eine Verbindung zum Täter des letzten Anschlags hatte, aber er hat in der Stadt definitiv ein effizientes Zentrum für Dschihadismus aufgebaut. Er wurde im Senegal geboren, wuchs aber in einer Sozialsiedlung im Vorort von Ariane auf, und man nimmt an, dass er hinter der Rekrutierung der 11 köpfigen Familie aus Nizza steht, die nach Syrien reiste. Omar steht in Verbindung mit Jabhat al-Nusra, der mit Al-Kaida in Verbindung stehenden Gruppe in Syrien, die Rivale des islamischen Staates ist, und hat sich auf französische Propagandavideos spezialisiert, von denen viele bei YouTube sehr popular sind.
Lestes Jahr wurden in einem anderen Fall zwei Jugendliche auf dem Flughafen von Nizza kurz vor dem Start aus einem Flugzeug geholt, nachdem die Behörden einen Alarm erhielten, dass sie in den Dschihad ziehen wollten. In noch einem anderen Fall strengte eine Mutter ein Gerichtsverfahren gegen den französischen Staat an, weil ihr Sohn zusammen mit drei anderen aus der Stadt nicht davon abgehalten werden konnte vom Flughafen in Nizza in die Türkei und dann nach Syrien zu fliegen. Und wieder eine andere Dschihadistenzelle, bekannt als Cannes-Torcy (und zwischen 2012 und 2014 von der Polizei auseinandergenommen) hat Nizza ins Visir genommen. Ein Rückkehrer aus Nizza, der 16 Monate lang in Syrien war wurde im Januar 2014 kurz nach seiner Rückkehr verhaftet. Es wird angenommen, dass er zurück geschickt wurde, um einen Selbstmordanschlag zu begehen, und das zu einer Zeit, als es auf französischem Boden noch kein solches Attentat gab.
Im Angesicht der Ausbreitung der Radikalisierung stand das Departement Alpes-Maritimes an vorderster Front bei den französischen Bemühungen dagegen vorzugehen. Es wurde eine spezielle Gegenradikalisierungszelle aufgebaut, die sich wöchentlich trifft, um die Alarmmeldungen von Lehrern, Sozialarbeitern, Polizisten und Gefängniswärtern zu analysieren, von denen alle psychologisch ausgebildet wurden, um Anzeichen von Radikalisierung zu entdecken. Seit 2014 hat das Departement 522 dieser Meldungen erhalten, darunter 120 über Jugendliche unter 18 Jahren.
Die Behörden des Departements waren zu Beginn des Jahres besonders besorgt über die öffentliche Sicherheit, als Nizza seine jährliche Fasnacht abhielt - eine Parade mit festlich geschmückten Wagen die entlang der Promenades des Anglais geht, wo auch der Anschlag letztens stattfand. Entlang der Route wurden damals vorübergehend Strassensperren aufgebaut, um nur den Zuschauern mit Eintrittskarten den Zugang zu erlauben. Die Erleichterung war damals groß, nachdem alles gut gegangen war.
Solche Freiluftereignisse haben in Frankreich dieses Jahr große Sicherheitsbedenken ausgelöst, insbesondere während der Fussballeuropameisterschaft, die am 10 Juli ohne Anschläge zuende gegangen ist. Aber die Geheimdienste haben weiterhin gewarnt, dass gefüllte Plätze, wie etwa Einkaufszentren und der Bus- und Bahnverkehr verletzlich sind. Der letzte Anschlag gab ihnen brutal recht. Die französische Regierung hat nun angekündigt, dass der Ausnahmezustand ein weiteres Mal verlängert werden soll. Er wurde nach den Anschlägen von letztem November eingeführt und sollte im Juli auslaufen, aber er wird nun bis zum 26. Oktober weitergehen. Eine Notfallreaktion wird in Frankreich damit beunruhigenderweise zu einem Daueralarmzustand.
Im Original: Why Nice was an unsurprising location for a terrorist attack
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