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Donnerstag, 4. Februar 2016

The Spectator: Das neue Skeptikerargument für den Verbleib in der EU: Sie wird bald sowieso untergehen



Es ist besser, das Ding auseinanderfallen zu lassen während man selbst noch an Bord ist, als am Ende die Schuld für das ganze Desaster zu bekommt, meinen Minister der Tories. Von James Forsyth, 30. Januar 2016


Während die Tory Minister angesichts des EU Referendums noch mit ihrem Gewissen hadern, macht ein neues Argument die Runde. Und es löst den Konflikt zwischen prinzipieller und persönlicher Loyalität zu David Cameron, womit einige der Kabinettsmitglieder zu kämpfen haben in ziemlich eleganter Weise. Es geht ungefähr so: Die Europäische Union wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren kollabieren. Daher kann man im sicheren Wissen, dass die EU in spätestens einer Generation weg ist für den Verbleib stimmen.

Einige Minister fügen ein weitere Ebene an das Argument an. Sie behaupten, dass ein Verlassen Britanniens das Ableben der Europäischen Union beschleunigen würde und es ist nicht in unserem Interesse, die Schuld dafür zugeschoben zu bekommen. Es ist besser in der EU zu bleiben und sie sich selbst zerstören lassen.

Es ist verlockend, dies als Sophisterei abzutun; als simple Ausrede, damit man tun kann, was politisch für das Referendum zweckmäßig ist und gleichzeitig auf der Seite des Ministerpräsidenten zu bleiben. Sicherlich aber bringt es die Minister aus einer Zwickmühle. Aber es sind nicht nur britische Tories, die ihr Referendumsdilemma lösen wollen und denken, das gesamte europäische Projekt ist in Gefahr. Es ist eine Ansicht, die zunehmend von einflussreichen europäischen Politikern geteilt wird.

Dieser Pessimismus wird von der Migrationskrise getrieben. Diese ist eine weit größere Herausforderung als die Belastungen durch den Euro und es ist ein extremer Lackmustest für die Solidarität unter den EU Mitgliedern. Lediglich 414 Flüchtlinge wurden umgesiedelt mit Hilfe des Umverteilungsschlüssels, mit dem eigentlich 160.000 quer über Europa hätten verteilt werden sollen, und das ganze Schengensystem steht auf der Kippe.

Das vorgeschlagene Aussetzen von Schengen für zwei Jahre würde ein rießiges Loch in die EU schlagen. Zum ersten Mal müsste dessen Führungsschicht zugeben, dass die europäische Integration rückgängig gemacht werden kann. Vielen in der Kommission sind der Ansicht, dass das Projekt sich wie ein Haifisch verhalten muss - wenn es sich nicht vorwärts bewegt, dann wird es sterben. Das ist der Grund, weshalb für sie die Antwort auf jedes Problem "mehr Europa" heisst. Wenn das nicht so ist, dann könnte das ganze Ding kollabieren.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sogar erklärt, dass "der Euro sinnlos ist" ohne Schengen. Das mag eine Übertreibung sein. Aber es würde anzeigen, dass ein europäisches Staatswesen (welches den Euro unbedingt bräuchte) weiter weg ist denn je.

Die Rückkehr zu Grenzkontrollen würde auch ein psychologisches Loch reissen. Für viele Europäer inklusive der deutschen Kanzlerin Angela Merkel liegt eine der Hauptanziehungspunkte an der EU an ihrer Antithese zum alten Ostblock mit den Grenzkontrollen und Reisebegrenzungen. Die Vorstellung, dass Bürger der EU an den Grenzen ihre Pässe vorzeigen müssen, wenn sie über den Kontinent reisen ist daher ein Anathema für sie. Merkel wuchs in Ostdeutschland auf und es war die Intensität ihres Einsatzes für die Reisefreiheit, die David Cameron davon abkommen ließ, in den Verhandlungen eine Position gegen dieses Grundprinzip zu beziehen.

Die Verbindung von Migrationskrise und Sicherheitslage macht ein Überleben von Schengen sehr schwer. Wenn Terroristen problemlos zwischen Belgien und Frankreich hin- und herreisen können, dann muss etwas anderes her. In den französischen Präsidentschaftwahlen im kommenden Jahr wird es spannend, ob einer der Hauptkontrahenten sich für ein grenzenloses Europa einsetzen wird - da der dortige Ausnahmezustand bedeutet, dass Frankreich de facto wieder Grenzkontrollen eingeführt hat. Mit der Gefahr, dass Marine Le Pen vom Front National es in die zweite Runde der Wahlen schaffen könnte würde nur ein leichtsinniger Politiker für den vorherigen Zustand eintreten.

Vergleichbar schwierig ist es, sich eine nachhaltige Lösung für die Migrationskrise vorzustellen. Was auch immer die EU macht, sie wird immer Probleme haben, ihre südlichen Grenzen zu schützen: Die Zahl an Personen, die versuchen hinein zu kommen und die Zahl der Wege die es gibt sind einfach zu groß. Was wir momentan erleben ist der Beginn einer Völkerwanderung von Menschen aus Afrika und dem Mittleren Osten nach Europa, die noch eine Generation lang andauern wird.

Es ist ebenso schwer, sich vorzustellen, wie die osteuropäischen und baltischen Länder große Flüchtlingskontingente akzeptieren, insbesondere aufgrund ihrer Haltung gegenüber dem Islam. Ohne eine Lastenteilung aber werden Griechenland und Italien nicht in der Lage sein, sich noch lange zu behaupten. Während es vielleicht noch möglich sein mag, Griechenland aus der Schengenzone auszuschliessen wäre dies bei Italien nicht mehr möglich.

Die Logik mag in Richtung Austritt aus der EU zeigen, aber britische Kommentatoren und Politiker haben diesen Fehler bereits zuvor begangen, etwa als vermutet wurde, dass das europäische Projekt von seinen inhärenten Widersprüche gestoppt würde. Der Einheitszins der Einheitswährung hat sicherlich nicht jedem Mitglied gut getan und für einige war er ruinös. Doch die Einheitswährung wankt weiter - und sie hat noch keins ihrer Mitglieder verloren.

Im Jahr 2013 hat Cameron ausgerechnet, dass die Euro Probleme eine zunehmende Integration bedürfen und für einen neuen Vertrag geworben. Er dachte, dies würde Britannien etwas Manövriermasse geben. Daher hat er auch ein Referendum vorgeschlagen. Die Eurozone aber hat sich einfach durchgewurschtelt, indem Wege gefunden wurden, um die Regeln da zu brechen wo es notwendig war.

Die britische Unterstützung für eine EU Erweiterung war immer größtenteils auf dem Glauben konzentriert, dass eine Erweiterung der Mitgliederbasis die Integration beenden würde. Das ist aber nicht passiert. Ironischerweise werden es die Konsequenzen sein, die sich aus der Reisefreiheit für die Bürger dieser neuen Mitglieder ergaben, die das "schwierigste" Thema für die "Verbleiben" Kampagne im Referendum sein werden.

Was dabei völlig unterschätzt wurde war der schiere politische Wille, alles zu erhalten. Briten, die eine rein ökonomische Sicht auf die EU haben vergessen oft, wie weit europäische Politiker bereit sind zu gehen, um das Projekt am laufen zu halten.

Wird dieser politische Wille weiter bestehen, nun da europäische Mitteparteien weiter Probleme haben? Das Problem ist, dass die Beantwortung dieser Frage nicht möglich ist, bevor Britannien sich entschlossen hat, ob es in der EU bleiben oder gehen will.


Im Original: The new sceptics’ case for staying in the EU: it’ll sink soon anyway

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