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Samstag, 18. Juni 2016

Harper's Magazine: Wir haben keine Rechte, aber wir sind am leben, Teil 4


Am Abend bevor ich Syrien verliss schaffte ich es nochmal zusammen mit Samir in die Altstadtbar. Er holte mich am Bab Touma Platz ab mit einem zierlich hübschen und leicht traurig wirkenden jungen Mann. Er stellte ihn mir als seinen Freund vor. Als wir auf Hassan und seine Schwester warteten, die uns begleiten würden kam eine Horde junger Männer vorbei, die sich an etwas klammerten, das wie Handtaschen aussah. Samir und sein Freund stöhnten. "Das ist die Art von Leute, die den Schwulen einen miesen Ruf bescherten," meinte der Freund. Schlieslich kam Hassans Schwester alleine. Der beste Freund ihres Bruders, der eine, von dem er mir erzählte, entschloss sich zu einer illegalen Reise nach Europa. Wie ich würde auch er Morgen früh losziehen. Hassan blieb die ganze Nacht auf, um sich von ihm zu verabschieden und nun war er in Tränen aufgelöst zu Hause. Er befand sich nicht im Zustand für den Umgang mit Leuten.

Es war noch immer Ramadan und als wir die Bar erreichten waren wir die einzigen Gäste. Davor gab Samir gab sein bestes, um uns in Partystimmung zu bringen und spielte Lana del Rey Lieder und Videos auf seinem Handy. Er erwähnte, dass seine Freunde, die aus Rakka flohen ihm sagten, dass der Islamische Staat die Handys alle Personen dursuchen würde, die an den Kontrollpunkten vorbei wollten. "Ein Lied ergibt 10 Peitschenhiebe, 20 für ein Video - es gibt da eine ganze Liste. Alles ist haram." Als wir nach Musik schauten bemerkte ich, dass der Bildschirm gebrochen war. Es passierte in Deir al-Zor sagte er, während der Explosion bei der er seinen Rücken verletzte; ein Freund von ihm starb in der Explosion.

Ein gewaltsamer Tod erinnerte ihn dann zwangsläufig an einen anderen. Ein armenischer Freund von ihm aus Aleppo wurde in der Tabqa Luftwaffenbais in der Rakka Provinz getötet, die im August 2014 vom Islamischen Staat überrannt wurde. Nur Stunden, bevor die Basis fiel haben er und Samir sich noch Nachrichten hin- und hergeschickt. "Bitte meine Eltern, dass sie mir verzeihen," schrieb sein Freund - er erzählte ihnen nicht, dass er in so eine gefährliche Ecke geschickt wurde. Der Islamische Staat nahm keine Gefangenen, aber Samir sprach mit einem Soldaten, der davon kam. Der Feind überrannte sie "wie wilde Tiere," sagte Hassan, den Bericht des Soldaten zusammenfassend. "Wenn einer fiel rannten die anderen einfach weiter." Hubschrauber der Syrischen Armee griffen sie mit Bomben und Raketen an, aber der Islamische Staat "rannte einfach über die Leichen der Gefallenen hinweg."

Vor nicht allzu langer Zeit haben Samir und sein Freund heimlich mit dem Knutschen begonnen. Samir sagte mir, sein Freund hätte ein Kunstprojekt üer ihre Beziehung begonnen; er nannte es "Zwei grüne Herzen gegen die Welt." Der Freund zeigte mir einige eindringliche Zeichnungen auf seinem Handy. Während der Touren durch Damaskus machte sich Samir noch lustig über die Vorstellung einer Schwulenehe in Syrien, aber jetzt, wie er sich mit seinen Freunden entspannte sagte er, dass es vielleicht eine gute Sache sei. Ich meinte, dass Syrien frei wäre, wenn die Menschen Witze über den Präsidenten machen dürften. Samirs Freund widersprach mir und meinte, "Er wird gehen." Ich scherzte darüber, mit eine "I love Bashar" Plakette zu kaufen, das ich vorher entdeckte und wie unbeliebt es mich zu Hause machen würde. "Ich würde es nicht tragen," sagte Samirs Freund.

Als wir auf die Strasse gingen, alberten junge uniformierte Männer herum; die Stimmung war rauh, militärisch. Samir hakte sich bei seinem Freund ein um ihn zu schützen, aber als er das tat näherte sich von hinten eine Gruppe bulliger Idioten, die sich gegenseitig anbrüllten und ein Motorrad hinter sich herzogen. Samir zog seine Hand wieder weg.

Eine Woche davor, beim letzten Mal, als wir den Weg zurück zum Hotel gingen sagte Samir, "Ich liebe Damaskus, aber ich denke, wir alle werden es verlassen müssen." Es klang wie leichte Resignation, vielleicht aber besteht sein Plan auch darin selbst dann zu bleiben. Ende September dann, drei Monate nachdem ich Syrien verlassen hatte, beging er Fahnenflucht und floh über den Norden des Landes mit Hilfe von Freunden bei den Rebellen. Es war eine gefährliche Flucht, und eine, die ihn komplett alleine zurückliess; er bekam freies Geleit von den Brigaden, die mit der Freien Syrischen Armee alliiert waren und selbst mit Jabhat al-Nusra Verbindungen hatten. Als wir im Oktober miteinander reden war er gerade im Türkischen Antakya, wo er wieder mit seinem Freund zusammentraf.

Samir erklärte, dass er seine Meinung über das Besprochene nicht geändert hat - sein Patriotismus, seine Verbundenheit zur Armee. Er sah nur einfach kein gutes Ende für ihn selbst und sein Land und er wollte auch nicht für das syrische Regime im Kampf gegen den Islamischen Staat sterben. "Ich unterstütze von nun an keine Seite dieses schmutzigen Krieges mehr," sagte er. "Alle Länder sind in Syrien: Großbritannien, die USA, Russland. Ich will einfach nur noch weit weg sein davon, in Europa. Ich glaube an den Frieden und daran, dass man niemandem etwas antun sollte." Sein Ziel seien die Niederlande, woer und sein Freund heiraten könnten. Ende Oktober schrieb er mit in einer Textmitteilung, dass er gerade auf dem Weg von Athen nach Mazedonien sei als Teil des Exodus von Syrern auf der Suche nach einer Zuflucht in Westeuropa. Im Dezember erreichten sie Deutschland und liessen sich in der Nähe von Frankufurt nieder, zumindest vorerst, wo die Leute, wie Samir sagte, gut zu ihnen gewesen seien. "Bei Gott, ich werde leben", meinte er zu mir, als wir im Oktober telefonierten und war immernoch aufgewühlt von dem, was er gerade durchmachte. "Leider werde ich nie wieder zurück gehen können nach Damaskus."


Harper's Magazine: Wir haben keine Rechte, aber wir sind am leben, Teil 1
 

Harper's Magazine: Wir haben keine Rechte, aber wir sind am leben, Teil 2 

Harper's Magazine: Wir haben keine Rechte, aber wir sind am leben, Teil 3

Harper's Magazine: Wir haben keine Rechte, aber wir sind am leben, Teil 4


Im Original: We Don’t Have Rights, But We Are Alive

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