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Sonntag, 6. März 2016

The Spectator: Sobald die EU die Türkei nicht länger bestechen kann wird die Erpressung beginnen


 
Von Maria Wilczek, 4. März 2016


Wie es James Forsyth diese Woche ausdrückte könnte es in der Türkei noch weitaus schlimmer kommen. Tatsächlich wird sie es das auch. Die Hoffnung Europas, dass die Türkei weiterhin die Migranten aufnehmen kann sind bestenfalls naiv; schlimmstenfalls unverantwortlich.

Europa braucht die Türkei dringendst als Warteraum für Migranten an seinen Grenzen. Im Gegenzug hat es die Beschleunigung des EU Beitrittsprozesses angeboten. Im November wurde der Türkei für 2016 die Visafreiheit zugesagt für Reisen in den Schengenraum. Im Dezember dann, nach fünf Jahren Stillstand, wurden die Verhandlungen bezüglich der ökonomischen und monetären Politik für einen EU Beitritt der Türkei wiedereröffnet.

Diese gesamte Abmachung basiert auf der seltsamen Vorstellung, dass falls das Land die Chance erhält, die Türkei europhil wird und mit Eifer eine Konversion durchführt. Als der amtierende Ministerpräsident Ahmet Davutoglu ins Amt kam erklärte er, dass der Januar 2015 zum "Europäischen Monat" würde. Schon bald danach hat seine Regierung eine fünf-Jahre-Strategie für Europa in Kraft gesetzt, um alle Beitrittskapitel in nur zwei Jahren abzuschliessen. Nach den Charlie Hebdo Attacken marschierte er mit anderen Führungspersönlichkeiten durch Paris. All dies war verbunden mit einer klaren Botschaft: "Wir sind Teil Europas. Europa sind wir, wir sind Europa."

Allerdings sollten Davutoglus Worte wie Ayran genossen werden, dem nichtalkoholischen türkischen Nationalgetränkt: Mit einer Prise Salz. All dieses Umschmeicheln war umsonst, als Präsident Erdogan die Gezi Park Demonstrationen mit Gewalt aufgelöst hat. Als kleines symbolisches Detail wurde die Vorsitzende der deutschen Grünen Partei (Claudia Roth, d.R.) während der Ereignisse vom Tränengas getroffen. Darüber hinaus wurde kürzlich bekannt, dass Erdogans Regierung den syrischen Ableger von Al-Kaida (Jabhat al-Nusra) unterstützt. Einige führten dies zurück auf die gemeinsame Ideologie des konservativen Islam; andere meinten, es sei das gemeinsame Ziel die Kurden zu schwächen, eine Strategie, die wahrscheinlich nicht bei allzu vielen Europäischen Verbündeten zu finden ist.

Das Versprechen eines EU Beitritts ist bereits in sich ein fundamentales Paradoxon. Europa ermuntert die Türkei, die Migranten innerhalb seiner Grenzen festzuhalten. Im Gegenzug  verspricht es der Türkei die EU Mitgliedschaft. Es ist anzunehmen, dass eine solche Mitgliedschaft den freien Personenverkehr beinhaltet. Demnach könnten dann alle diese unzureichend identifizierten und nur halb integrierten Flüchtlinge völlig frei ihre Reise nach Europa vollenden. Das kratergroße Loch in diesem Plan zeigt wie wenig darüber nachgedacht wurde, oder wie wenig Glaubwürdigkeit dieses Mitgliedschaftsangebot hat.

Warum hat die Türkei dann überhaupt Verhandlungen mit der EU zum Migrationsthema geführt? All dies kann runtergebrochen werden auf eine einfache Wahrheit welche die EU verstehen muss, wenn sie weiterhin eine pragmatische Beziehung unterhalten wollen: Die Türkische Außenpolitik ist eine Verlängerung von Erdogans Innenpolitik. Die kürzlichen Verhandlungen zur Migrationskrise haben dem Präsidenten gebracht, was er wollte. Er zieht seinen Stolz insbesondere daraus, dass Europa die Türkei mehr braucht als die Türkei Europa.

Und nur damit keine Missverständnisse aufkommen, die Türkei ist sich sehr wohl darüber im Klaren, in diesen Verhandlungen die besseren Karten auf der Hand zu haben. In den letzten Monat an die Öffentlichkeit gelangten Aufnahmen sagte Erdogan Donald Tusk und Jean-Claude Juncker, dass die Türkei mit den angedachten drei Milliarden Euro an Unterstützung genauso gut "jederzeit die Türen nach Griechenland und Bulgarien öffnen und die Flüchtlinge in Busse setzen kann". Die Tatsache, dass Kanzlerin Merkel alle paar Wochen hinfliegt, um mit Davutoglu und Erdogan zu reden ist ein Zeichen purer Verzweiflung. Die Türkei ist sich ebenso darüber im Klaren, dass die Führungen in Deutschland und Frankreich - zwei der immigrationsstrapaziertesten Länder - 2016 und 2017 Wahlen vor sich haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Erpressungen sich intensivieren.

Und so tickt die Uhr. Europa sucht verzweifelt nach einem Hebel und die Türkei nimmt weiter fleissig Flüchtlinge auf. Die Türkei hat inzwischen 2,5 Millionen Migranten untergebracht und bereits fast 10 Milliarden Dollar ausgegeben. In der Frühphase des syrischen Bürgerkrieges hat Ankaras Selbstbewusstsein zu einer Politik der offenen Tür geführt. Nur etwa 10 Prozent der Flüchtlinge leben momentan in Lagern. So weit verlief die Assimilation relativ nahtlos dank der regionalen ethnischen Ähnlichkeiten, der muslimischen Mehrheit und dem kulanten Umgang mit der Schattenwirtschaft.

Mittlerweile gibt es aber Brüche an den Nähten. Diesen Sommer wurden 33 Menschen in der kurdischen Stadt Suruc von einem Selbstmordattentäter getötet. Im Oktober starben bei einer Friedensdemonstration in Ankara 102 Menschen. Im Januar wurden zehn Deutsche im Istanbuler Sultan Ahmet Viertel von einem ISIS Terroristen umgebracht.

Darüber hinaus gab es einen Skandal in der Bekleidungsindustrie wegen gefälschter Rettungswesten als neuestes überflüssiges Nebenprodukt der Krise in der Türkei. Im Januar hat die Polizei in Izmir über 1.250 ungeeignete Westen entdeckt. Ganz in der Tradition der "Pradda" Taschen waren die Rettungsweseten mit "Yamaxa" versehen anstelle von Yamaha.

Was passiert, wenn die Türkei seine Kapazitätsgrenzen erreicht? Es wird Zeit für uns, den Braten zu riechen. Die Türkei hat ke,in wirkliches Interesse daran, Euopa rauszuhauen und die EU hat bald nichts mehr, was sie anbieten kann. Die wahre Frage ist daher nicht ob - sie ist, wann werden sich die Fluttore der Türkei öffnen?


Maria Wilczek ist eine Philosophiestudentin an der Oxford Universität. Sie wuchs in der Türkei auf.


Im Original: When the EU is no longer able to bribe Turkey, the blackmail will begin

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