Donnerstag, 18. Februar 2016
The Spectator: Unabhängig davon, ob Großbritannien geht oder nicht muss die EU sich ändern, oder sie wird zerfallen
Die großzügige Wohlfahrtspolitik und offene Grenzen werden unabdingbar in einer hässlichen Kollision enden. 20. Februar 2016
David Camerons Versuch, die britische EU-Mitgliedschaft neu zu verhandeln war ein beeindruckendes Argument für das Verlassen der Union. Die EU ist so gestaltet, dass sich fast kein vernünftiger Vorschlag durchsetzen kann. Wenn ein Mitgliedsstaat eine gute Idee hat, dann verlangen die anderen 27 Mitglieder einen Preis für dessen Annahme, oder aber sie verlangen so lange Zugeständnisse, bis der Vorschlag komplett verwässert ist. Wenn der Regierungschef eines Landes dagegen protestiert, dann ist die Antwort eindeutig: Was werden sie schon machen? Weglaufen? Sie würden es nicht wagen.
Das Machtgebaren der EU hat einen Preis. Der Euro hat die Volkswirtschaften der Mitgliedsländer, die ihn einsetzten komplett ruiniert und die Abschaffung der Grenzkontrollen hat die Migrationskrise verschlimmert - und die darüberhinaus in großen Teilen Europas politische Krisen verursacht hat. Eine neue Bankenkrise könnte sich gerade entwickeln und all die Edikte aus Brüssel hinsichtlich der Finanzregulierungen werden nur wenig daran ändern. Was beim Treffen der EU Führungselite hätte Besorgnis auslösen müssen war nicht Großbritanniens möglicher Austritt, sondern die Frage ob die Union selbst überleben wird.
Es ist völlig typisch für die EU, dass die Treffen sich verzetteln in Details, ohne dass jemand die größeren Zusammenhänge angehen könnte. Es gab Stunden über Stunden von Verhandlungen über die Frage, wie viel Kindergeld an polnische Eltern gezahlt werden muss, die in Britannien arbeiten, deren Kinder aber zu Hause in Polen leben. Währenddessen wurden fundamentalere Themen überhaupt nicht angesprochen: Dass die großzügige westeuropäische Wohlfahrtspolitik niemals kompatibel sein wird mit der Massenmigration, ob diese von außerhalb oder innerhalb der EU kommt. Cameron sieht dieses Problem und bot eine Lösung an: Einwanderer sollten vier Jahre lang keine Transfers erhalten dürfen.
Wie der Ministerpräsident anmerkt ist es eine Sache für eine Erkundungsgesellschaft wie das Amerika des 19. Jahrhunderts große Zahlen an Migranten aufzunehmen. Die Amerikaner hatten keinen Sozialstaat und dafür einen ausgesprochen starken Appetit nach Arbeitskräften. Die Situation ist aber eine völlig andere, wenn es um einen Kontinent geht, wo sich die Wirtschaftspolitik eher darum dreht, Arbeitsplätze zu schützen als neue zu schaffen, und wo es Regierungen gibt, die sich einer Sozialpolitik verschrieben haben, die umfangreiche Leistungen an die Armen beinhaltet. Wie man in Schweden und Deutschland sieht endet die Kombination aus einer großzügigen Wohlfahrtspolitik und offenen Grenze unabdingbar in einer hässlichen Kollision. Wer eine von-der-Krippe-bis-zur-Bahre Sicherheit bietet und gleichzeitig die ganze Welt einlädt, der darf nicht überrascht sein, wenn die ganze Welt auftaucht und den Kassenstand schneller sinken lässt, als die Steuerzahler ihn wieder heben können.
David Camerons ursprünglicher Vorschlag beinhaltete eine wichtige Botschaft: Kommt nach Großbritannien zum arbeiten, aber erwartet nicht, die selben Sozialleistungen zu erhaten, bis ihr mehrere Jahre lang zum Steuersystem beigetragen habt. Es ist eine Vorlage, wie sie die EU übernehmen sollte. Auf diese Weise kann die Begungsfreiheit mit den Sozialsystemen in Einklang gebracht werden: Man muss Neuankömmlingen den Zugriff erschweren. Die Unfähigkeit der EU, so etwas anzuerkennen zeigt, dass sie strukturell unfähig ist, auf neue Probleme wie etwa die Migrationskrise zu reagieren.
Großbritannien war ein ausgesprochener Verteiliger der "vier Freiheiten", für die die EU zu stehen behauptet: Freier Verkehr für Waren, Dienstleistungen, Arbeitern und Kapital. Das Problem besteht darin, dass die EU selbst dem Freihandel skeptisch gegenübersteht und eine moralisch nicht zu verteidigende Politik des Protektionismus bevorzugt. Fast 60 Jahre nachdem die Europäische Montanunion gegründet wurde und mehr als 20 Jahre nach der Ausrufung des "Binnenmarktes" hat die EU nur wenige Fortschritte erzielt beim Öffnen des grenzüberschreitenden Handels bei Dienstleistungen wie dem Bankengeschäft oder Versicherungen. Für eine Volkswirtschaft wie dir britische, die stark zentriert ist auf Dienstleistungen ist dies ein starkes Hemmnis.
Ebenso wenig war die EU auch nur teilweise erfolgreich beim Öffnen seiner Märkte zum Rest der Welt. Es gibt beispielsweise noch immer keinen Handelsvertrag mit Japan. Von der "Drin" Kampagne wird uns wieder und wieder erzählt, dass wir in der EU bleiben müssen, damit wir mehr Gewicht bekommen, wenn es um das Aushandeln internationaler Handelsverträge geht. Doch die unabhängige Schweiz hat es geschafft, einen Vertrag mit Japan abzuschliessen. Waum kann die EU das nicht auch?
Das größte Problem der US besteht im Mangel an Nachhaltigkeit seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik. Es ist lächerlich, dass Steuerzahler Landwirte quersubventionieren müssen, auch wenn sie nur wenige Nahrungsmittel produzieren. Der Euro wurde fürs erste halbwegs gesund gepäppelt, aber der Versuch, eine Einheitswährung und einen Einheitszins in vielen sehr unterschiedliche Ländern zu installieren wird uns bald wieder einholen. Was die Migration betrifft, so sollte man die Luftschlösser ignorieren - man schaue sich nur mal an was die Mitgliedsländer machen: Sie bauen Zäune, um die Kosten der offenen Grenzen zu begrenzen.
David Cameron hat uns einen fundamentalen Wandel in Großbritanniens Beziehungen zur EU versprochen. Einige hoffen, er wäre fähig die EU selbst in einen Binnenmarkt für Freihandel umzuwandeln, was schon längst hätte passieren sollen. Die Ereignisse der letzten paar Wochen und Monaten aber haben es deutlich gezeigt, eine fundamentale Reform ist nicht zu machen. EU hat wieder einmal Großbritannien frustriert.
Viele in Brüssel wird genau das gefallen. Einige werden sich vielleicht sogar zuprosten im Fall unseres Austritt. Doch früher oder später wird der Tag kommen, wenn die EU dazu gezwungen sein wird sich entlang der beschrieben Krisenpunkte neuzuerfinden, oder aber sie wird nicht überleben.
Im Original: Whether or not Britain leaves, the EU must change or fall apart
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