Dienstag, 9. August 2016

The Spectator: Was passierte, nachdem ich wegen eines Hassverbrechens angezeigt wurde


Nach einer 30-sekündigen Rauferei im Zug brauchte es 20 Monate und 15.000 Pfund, um meinen Namen reinzuwaschen. Von Kevin O'Sullivan, 6. August 2016

20 lange Monate bestand der Verdacht, ich hätte ein Hassverbrechen begangen: Einen homophobiebegründeten Übergriff. Die britische Transportpolizei (BTP) verfolgte meinen Fall mit außerordentlichem Elan. Wie auch die königliche Staatsanwaltschaft. Ich wurde in eine Welt geworfen, wo der gesunde Menschenverstand schon lange verwelkte und starb.

Der Alptraum begann, als ich nach einer Beerdigung in Kent nach London nach Hause fuhr. Im Zug plauderte ich gerade mit einem Freund, als ein seltsamer Mann auf der anderen Sitzseite damit begann uns anzubrüllen. "Haltets Maul!" schrie er bevor er uns vorwarf, in voller Lautstärke eine sexistische und frauenfeinliche Unterhaltung zu führen. Das war wie er meinte "anstössig".

Wir waren amüsiert. Unsere private Unterhaltung bei normaler Lautstärke handelte von einem männlichen Kollegen, der zugegebenermaßen gelegentlich fluchte. Mit dem Finger auf uns zeigend bestand unser Ankläger darauf, dass wir für Frauen herabwürdigende Sprache verwenden würden. Waren wir nicht. Ich schlug ihm vor, seine Tirade zu beenden. Er aber machte weiter mit seinem Geschrei. Als er sich dann erhebte entschied ich mich für die Selbstverteidigung, indem ich ihn wieder auf seinen Sitz drückte. Ich dachte, es wäre sicherer so. Mein Freund war 66 und es ging ihm nicht gut. In dem Moment stemmte sich unser Ankläger hoch und schlug mir ins Gesicht. Eine Spielplatzrangelei entfaltete sich. Ich bin kein Kämpfer und er war auch keiner. Es war ein Nicht-Ereignis. Niemand kam zu Schaden.

Jemand wählte 999, eine Wache kam zu uns und ich ging zurück auf meinen Platz. Die ganze Auseinandersetzung dauerte 30 Sekunden. Der Zug hielt in Tunbridge Wells, wo ein Polizist getrennt unsere Aussagen aufnahm und mich informierte, dass mein Ankläger keine Anzeige erstatten wollte. Ich ebenso wenig. Er verlies den Zug und ich setzte meine Reise fort und das war es auch. Jedenfalls dachte ich das.

Einen Tag später rief die BTP bei meinem Widersacher an - der sich als Universitätsdozent entpuppte. Aus welchen Gründen auch immer führte dieser Anruf zu einem Meinungswechsel bei meinem Ankläger. Die BTP hat mich danach noch einmal befragt und bevor ich wusste was los ist wurden mir ein homophober Missbrauch und ein Übergriff vorgeworfen. Ich war geschockt. Der Vorwurf lautete, dass ich die Versuche des Mannes unterbrach, einen Telefonanruf zu tätigen, indem ich ihn fragte, ob er seinen schwulen Liebhaber anrief.

Dieser Vorwurf hätte beinahe mein Leben ruiniert. Wäre ich schuldig gesprochen worden, dann wäre ich als Fernsehkritiker und Experte, der regelmässig in Fernsehen und Radio auftritt geliefert gewesen und meine Karriere am Ende.

Der Mann hatte keine Beweise, um die Behauptung zu stützen. Ich auf meiner Seite hatte mehrere Zeugen, die nichts derartiges hörten und dazu Aufnahmen von Überwachungsvideos, die unsere Auseinandersetzung, eine unbedeutende Rangelei, zeigen. Und doch hat die Polizei meinen Fall mit Nachdruck untersucht. Der schwülstige Bericht der zuständigen Beamten an die Staatsanwaltschaft las sich, als hätte ich den Typen halb tot geschlagen. Es war völliger Blödsinn. Nichtsdestotrotz wurde Anklage erhoben.

Während der langen und stressigen Wartezeit bis zum Prozess wurde mir klar, dass es nicht der Nicht-Übergriff war, an dem sie interessiert waren. Es war der homophobe Aspekt, der 24 Stunden nach dem Zwischenfall mysteriöserweise aufkam.

Nur fürs Protokoll, die Sexualität meines Widersachers kam mir nie in den Sinn, und es kam raus, dass er nicht schwul war. Aber diese Vorwürfe durch die BTP waren die ideale Gelegenheit, jene überlebenswichtige Statitik aufzubessern, die beweist, wie hart sie sind wenn es um Hassverbrechen geht. Null Toleranz. Alles, was auch nur im Ansatz als Verbrechen daherkommt wird registriert - selbst bei Fällen wie meinem, wo die Beweislage nur aus der Aussage des Klägers besteht.

Die Gerichtsverhandlung selbst, die letzten Monat ablief war eine bizarre Angelegenheit. Die Überwachungsvideos bewiesen, dass ich keinen Grund hatte, den Anruf meines Anklägers zu unterbrechen, weil er keinen tätigte. Drei meiner schwulen Freunde nahmen sich den Tag frei, um sicherzustellen, dass die Schöffen nicht homophob waren. Aber der Staatsanwalt bestand darauf, dass ich ein Hassverbrecher sei. Die Schöffen kamen zu einem anderen Ergebnis und schlussfolgerten, dass ich in "mit Beherrschtheit" in Selbstverteidigung agierte. Mein Hochgefühl wurde allerdings etwas gedämpft wegen der 15.000 Pfund an Anwaltskosten. Ich werde sehr glücklich sein, wenn ich auch nur einen Teil des Geldes zurück bekomme.

Ich hoffe, dass das was mir passierte selten ist. Aber irgendwie habe ich Zweifel. Die Direktorin für öffentliche Anklagen Alison Saunders - welche die Staatsanwalt leitet - kündigte an, dass bald neue Dokumente veröffentlicht werden, die der dankbaren Öffentlichkeit erklären soll, wie ein Hassverbrechen überhaupt definiert ist, und dass jeder deswegen sofort zur Polizei gehen sollte.

Als Erklärung weshalb sie mehr Hassverbrecher auf der Anklagebank sehen will gab Frau Sanders an: "Wir sähen es gerne, wenn es mehr wären, weil ich denke, dass diese Fälle nicht oft genug berichtet werden." Wie kann sie das wissen? Sind mehr als eintausend pro Woche wirklich zu wenig? Wie viele hätte sie denn gerne? Zehntausend? Eine Million?

Ich kenne die Wissenschaft dazu nicht, aber meine Erfahrung damit sagt mir, dass ich in die Arme des Wahns getrieben wurde. Nun da der Pool an Berühmtheiten aus den 1970ern für eine Anklage wegen alter Sexualverbrechen langsam leer ist, scheinen Polizei und Staatsanwaltschaft offenbar auf einen neuen Zug aufspringen zu wollen.

Die Gesetze und Richtlinien für Staatsanwälte gegen Homophobie, Transphobie, Rassismus und Vorurteile religiöser Natur oder gegen Behinderte sind gut gemeint. Anstatt allerdings mit Ausgewogenheit und einem Sinn für Gerechtigkeit zu agieren werden sie zunehmend zur Landplage. Die Polizei von Nottinghamshire kündigte die Absicht an, Wolfsgeheul als frauenfeindliches Hassverbrechen zu klassifizieren. Ist das nicht etwas zu viel des Guten? Haben Polizisten nichts besseres zu tun?

Ein Jahr und acht Monate lang hatte ich einen Platz in der ersten Reihe der Manege des Irrsinns. Eine erbärmliche, kleine Rangelei, die ich nicht begann eskalierte in einen vollumfänglichen Prozess. Seid vorsichtig, es könnte auch euch passieren.


Im Original: What happened when I was charged with a hate crime

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