Donnerstag, 16. Juni 2016
The Spectator: Raus und rein in die Welt - The Spectator empfiehlt den Brexit
15. Juni 2016
Der Spectator hat eine lange Geschichte beim Alleine dastehen, um am Ende doch recht zu behalten. Wir unterstützten den Norden gegen den sklavenbesitzenden Süden im Amerikanischen Bürgerkrieg zu einer Zeit, als die Zeitungen (und Politiker) nicht jenseits des unternehmerischen Tellerrandes blicken vermochten. Wir traten für die Entkriminalisierung der Homosexualität bereits ein Jahrzehnt ein bevor es passierte, und wurden entsprechend auch als "Schwuchtelpostille" hingestellt. Wir alleine haben Margaret Thatcher unterstützt, als sie sich das erste Mal um die Tory Führung bemühte. Und als Großbritannien das letzte Mal ein Referendum zum Thema Europa abhielt, haben alle Zeitungen im Land für die "Ja" Stimme geworben. Lediglich zwei landesweite Titel unterstützten das, was wir heute Brexit nennen: Der Morning Star und wir, der Spectator.
Unsere Besorgnis damals war einfach: Wir haben nicht geglaubt, dass es beim gemeinsamen Markt nur um Handel ging. Wir fühlten, dass ihm der Versuch der Etablierung einer gemeinsamen Regierung folgen würde, was furchtbare Folgen hätte für einen Kontinent, der berühmt ist für seine große Vielfalt an Völkern. Das ganze Projekt wirkte wie eine protektionistische Falle, als ein Versuch, eine Mauer um den Kontinent herum zu bauen, um nicht mit der Welt in den Handelsaustausch treten zu müssen. Diese Europäische Spießigkeit, so unser Argument, würde mit einem so global ausgerichteten Land wie Großbritannien nicht funktionieren. In der Woche des Referendums von 1975 hat der Spectator dann auch getitelt mit: "Raus - und rein in die Welt." Für diese Woche haben wir die Schlagzeile wiederholt.
Seit 1975 ist die EU dann in genau das mutiert, was wir damals befürchteten und heute ist sie nichts anderes als das Habsburger Reich in seinen letzten Tagen. Eine überblähte Bürokratie, die weit über ihren Nutzen gewachsen ist. Ein Parlament, das viele Nationen repräsentiert, das aber keine demokratische Legitimation hat. Länder an der Peripherie, die in Armut darben, oder eine Abspaltung verlangen. Der Machthunger der EU wird nur erreicht durch seine Inkompetenz. Die Europäische Union macht die Menschen auf unserem Kontinent ärmer und weniger frei.
Dabei sind es viel mehr als nur kleine Verärgerungen, wie die Vorschriften zur Bananenkrümmung. Die EU deformiert unsere Regierung mittlerweile. Michael Gove zeigte als Kabinettsmitglied, wie er dazu verdonnert wird Erlasse, Regeln und Regulierungen weiterzugeben, die auf Europäischer Ebene zusammengeschustert wurden. Es sind Gesetze, nach denen in Großbritannien niemand gefragt hat und die niemand in unserem Oberhaus wieder aufheben kann. Was wir als britische Regierung bezeichnen ist zunehmend nicht mehr das was es zu sein scheint. Es geht um das Verabschieden von Gesetzen, die von Leuten geschrieben werden, die niemand in Großbritannien gewählt hat, die niemand mit dem Namen benennen kann und die auch niemand wieder abwählen kann.
Steve Hilton, David Camerons Chefstratege für viele Jahre gab ein Beispiel für institutionellen Niedergang zum besten. Nach ein paar Monaten in seinem Beruf in der Downingstreet No. 10 war er bestürzt, wie langsam seine Kollegen vorankamen, weil sie alle unter Papierstapeln begraben waren, die er nicht wiedererkannte. Er bat um eine Revision und war von den Ergebnissen schockiert: Nur ein Drittel dessen, was die Regierung machte basierte auf ihrer eigenen Agenda. Etwas mehr als die Hälfte dagegen bestand aus der Weiterleitung von Anordnungen aus Brüssel. Für ihn war das mehr als nur ein kleiner Kopfschmerz: Es war eine hinterhältige und sich beschleunigende bürokratische Übernahme.
Auf den grundlegenden Demokratiemangel der EU folgte die Selbstzufriedenheit seiner Führer und Korruption unter jenen die um sie herum sind - und was uns letztlich in die heutige Situation führte. Die Wähler sind natürlich besorgt über den außerordentlichen Anstieg der Einwanderung und die Inkompetenz ihrer Regierungen, diese in den Griff zu bekommen. Die Reisefreiheit mag ein löbliches Ziel gewesen sein vor der Jahrhundertwende, und bevor die heutige Massenmigration begann. Heute aber, mit der Welt auf Wanderschaft, bringt es viele Europäer an den Rande des Wahnsinns. Das Versagen der EU, die Einwanderung zu kontrollieren hat die Menschenschmugglerindustrie entstehen lassen, ein globales Übel, dass allein dieses Jahr bereits fast 3.000 Tote im Mittelmeer gefordert hat.
Theoretisch ist es die Aufgabe der EU, seine Mitgliedsstaaten zu beschützen, indem die Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie als erstes ankommen. Praktisch dagegen wurde das Gesetz - die sogenannte Dublinvereinbarung - von Angela Merkel zerrissen, als sie rücksichtslos sagte, dass alle Syrer sich in Deutschland niederlassen könnten, wenn sie es irgendwie schafften dort hinzukommen. Die Schuld liegt nicht bei den Zehntausenden, die danach ankamen, sondern beim System, das hemmungslos unfähig war, so eine komplexe und intensive Herausforderung zu meistern.
Und wieder stand der Spectator mit seiner Ablehnung von Beginn an alleine da in der britischen Presselandschaft, als es um Großbritanniens Einstieg in den europäischen Wechselkursmechanismus ging. Warum, fragten wir, sollte die Bundesbank die Leitzinsen eines anderen Landes kontrollieren? Als später die Einheitswährung kam wurden die Risiken noch größer: Was wenn die Wirtschaft eines Landes abstürzt, es aber seine Währung nicht mehr abwerten kann?
Die Antwort kann nun überall in Europa beobachtet werden. Sado-Austerität in Italien. Eine Jugendarbeitslosigkeit von an die 50 Prozent in Griechenland und Spanien. Die Selbstzerfleischung dieser Volkswirtschaften im Namen eines Projektes, das einmal dazu gedacht war, die Menschen einander nahe zu bringen, ist nur noch tragisch.
Letzte Woche zeigte eine Pew Umfrage, wie groß die Unzufriedenheit mit der EU überall auf dem Kontinent ist. In Griechenland haben 71 Prozent eine schlechte Meinung von der EU; in Frankreich sind es 61 Prozent. In Großbritannien waren es 48 Prozent - in etwa gleich sah es in Spanien, Deutschland und den Niederlanden aus. Daher hatte David Cameron eine starke Position für eine Neuverhandlung: Die Forderung nach Veränderungen ist weitverbreitet und sie wächst. Eine kürzliche Umfrage deutet darauf hin, dass die Schweden für ein Verlassen der EU stimmen könnten, wenn Großbritannien austritt. Die Abwesenheit eines Nachverhandlungsergebnisses, des seinen Namen wert ist war der letzte Beweis für die strukturelle Reformunfähigkeit der EU.
Für Jean-Claude Juncker, den ungewählten Präsidenten der Europäischen Kommission ist diese Art der Unnachgiebigkeit eine Stärke. Seine Priorität ist das Überleben der EU und der Einheitswährung: Das Wohlergehen der Europäer und selbst das Einhalten demokratischer Prozesse sind nur nachrangig. Wenn er die immer lauteren Proteststimmen als hysterischen "Populismus" abtut, dann gibt er letztlich Bertolt Brechts Gedicht wieder: "Wäre es nicht leichter.. das Volk aufzulösen/ und ein neues zu wählen?" Als Großbritannien um Reformen bat, da entschied er sich für die Wette: Er hoffte, dass wir nur bluffen und es niemals wagen würden für das Verlassen zu stimmen.
All das hat den Ministerpräsidenten in eine unmögliche Lage gebracht. Er kann keinen positiven Narrativ für den Verbleib in der EU entwickeln und deswegen erzählt er uns, dass wir darin gefangen sind und dass die Strafen für das Verlassen zu schwerwiegend wären. Seine Schauermärchen, gezuckert mit Phantasiestatistiken haben letztlich nur die Leere des Verbleibs betont. Sie hat auch eine Art der Politik ans Tageslicht gebracht, die man nur als abstossend bezeichnen kann. Die Warnungen durch den IWF, die OECD und andere Akronyme haben nur das karikatureske Bild der globalisierten Eliten verstärkt, die den Regierten vorschreiben müssen was sie zu denken haben.
Das Gerede davon, dass alle "schlechter dastünden" mit einem Brexit ist irreführend. Von den vielen Ökonomen, die Vorraussagen für 2030 getroffen haben kam keiner zum Schluss, dass wir ärmer werden. Die Frage ist dagegen, ob wir bis dahin sagen wir 36 Prozent besser dastehen werden oder 41 Prozent. Nicht dass es jemand wirklich wüsste angesichts der monströsen Fehlerrate bei 15 Jahresvoraussagen. Diese Studien sind also nicht wirklich ein Grund zur Sorge. Daher hat George Osbourne (der Schatzkanzler, d.R.) vermutlich auch Zahlen zusammengebastelt, die ergeben, dass jeder Haushalt 4.300 Pfund im Jahr verlieren würde. Wenn der wirtschaftliche Aspekt so sehr gegen einen Brexit spricht, warum erfindet der Schatzkanzler dann solche Zahlen?
Als fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt hat Großbritannien (um es zurückhaltend zu formulieren) recht gute Chance von sich aus Handelsverträge mit Ländern abzuschliessen, die unsere Konsumentenmärkte erreichen wollen. Der Schlimmstfall bestünde dabei in den Regeln der Welthandelsorganisation mit Tarifen von etwa 4 Prozent. Das ist eine relativ kleine Marge und die Auswirkungen würden mehr als kompensiert bei einem willkommenen Fall des Pfundes. Und sollten die Häuserpreise fallen, wie der Schatzkanzler vermutet, dann wäre es umso besser. Eine Menge angehender Hausbesitzer warten genau auf das.
Es gäbe sicherlich Turbulenzen als Preis eines Verlassens der EU. Das würde die Finanzgeschäftsleute in der City mehr treffen als die qualifizierte Arbeiterschicht (von denen zwei Drittel den Brexit unterstützen). Diese Woche wurden wir von der Aussicht auf ein fallendes Pfund zur Panik eingeladen. Aber wozu? Eine schwächere Währung würde unseren Exporteuren den Stimulus geben, den sie brauchen.
Die Frage dieses Referndums ist nicht, ob Großbritannien mit seinen Europäischen Verbündeten kooperieren soll; die Frage ist wie. Sie Richard Dearlove, der ehemalige MI6 Chef erklärte, unsere Geheimdienstallianzen funktionieren bilateral. Unsere engsten sind die "Five Eyes" mit den USA, Australien, Kanada und Neuseeland. Die Lancaster House Vereinbarungen mit Frankreich zur militärischen Kooperation sind ein anderes Beispiel. Allianzen funktionieren zwischen Nationen mit einer gemeinsamen Agenda und mit der Fähigkeit und (letztlich auch) der Bereitschaft für die Konsequenzen.
Die EU ist eine Allianz der Unwilligen, weswegen sie bei Sicherheitsangelegenheiten nutzlos ist - und wie wir es in Bosnien und Libyen sahen. Selbst die Migrationskrise muss von der NATO gehandhabt werden, die auch der wahre Garant für die westliche Sicherheit ist. Es wird manchmal behauptet, dass Wladimir Putin wolle, dass wir für den Brexit stimmen. Das ist aber unwahrscheinlich: Denn was käme dem Kreml gelegener, als wenn die Europäische Sicherheit der mit Abstand dysfunktionalsten Organisation des Westens anvertraut wird?
Wie David Cameron richtigerweise sagt liegt es den Briten mehr zu kämpfen als zu fliehen. Da die EU sich als strukturell inkompetent für Reformen erwiesen hat haben wir nun eine Wahl. Sollen wir etwa nachgeben, weil wir zu ängstlich sind für einen Schnitt? Oder wählen wir die Rückgabe unserer Souveränität und verlassen den sinkenden Dampfer und treten nach unseren eigenen Regeln mit der Welt in Kontakt? Eine Stimme für das Verlassen steht für eine Stimme des Selbstbewusstseins für das Projekt des Vereinigten Königreichs und den Prinzipien der nationalen Selbstbestimmung. Es würde auch reformorientierten Europäern zeigen, dass die Hoffnung nicht verloren ist. Und dass wir bereit stehen, ein Europa zu formen das auf Freiheit, Kooperation und dem Respekt vor der Souveränität basiert.
Der Wert der Souveränität kann nicht mit einer ökonomischen Formel berechnet werden. Adam Smith, der Vater der Ökonomie stellte als erster fest, dass das Wohlergehen eines Landes davon abhängt, ob es über gesunde "Gesetze und Institutionen" verfügt. Diese grundlegende Einsicht erklärt, weshalb Nationen sich entwickeln und niedergehen und war auch das große Geheimnis hinter dem britischen Erfolg: Intellektuell, künstlerisch, wissenschaftlich und industriell. Die Prinzipien der Magna Carta und die Errungenschaften der Glorreichen Revolution führten zu unserem Aufstieg zur Weltmacht. Die Gelegenheit zu verpassen, dass diese Gesetze in Luxemburg umgeschrieben werden und unsere Demokratie von Brüssel aus erodiert wird wäre für diese und die nächste Generation eine Flucht aus der Verantwortung.
Niemand - ob Ökonom, Politiker oder Hellseher - weis, welche Turbulenzen wir in den kommenden 15 Jahren erleben werden. Was wir aber wissen ist, dass egal was kommen wird Großbritannien wird besser in der Lage sein zu reagieren als souveränes Land mit seinen eigenen Gesetzen. Die Geschichte der letzten beiden Jahrhunderten kann in zwei Worten zusammengefasst werden: Demokratie zählt. Verteidigen Sie diese am 23. Juni mit Ihrer Stimme.
Im Original: Out – and into the world: why The Spectator is for Leave
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