Samstag, 18. Juni 2016

Harper's Magazine: Wir haben keine Rechte, aber wir sind am leben, Teil 3

In der Altstadtbar erwähnte Samir einen Zwischenfall, den er während seiner Dienstzeit in Deir al-Zor erlebte. Seine Kameraden im mächtigen Armeeregiment bekannt als Division 17 nahm nach einer gescheiterten Offensive durch den Islamischen Staat einen äqyptisch-schweizerischen Dschihadisten gefangen. Als ich ihn nach Details fragte sperrte er sich zunächst: "Zu viel Information." Aber nach und nach erklärte er es. Der Dschihadist wuchs in der Schweiz auf und sprach kein Arabisch; er sprach aber ein bisschen Englisch. Samir, einer der wenigen Englischsprecher der Einheit wurde mit der Befragung beauftragt. Zunächst behauptete der Mann, Journalist zu sein, aber irgendwann gab er zu, dass er zum Islamischen Staat gehört. Als Samir seine Befragung beendete wurde der Gefangene abgeführt und exekutiert. Das war das normale Vorgehen sagte er mir, obwohl die Soldaten sich in diesem Fall dazu entschlossen, das ganze etwas auszuschmücken: "Wir wollten unser Land zurück." Bei Facebook zirkulierte ein Video mit dem kopflosen Körper des Mannes, wie Samir meinte. "Ich werde es dir zuschicken."

Er schickte das Video nie, aber zwei Tage nach unserem apprupt beendeten Treffen in der Brauerei bot er mir an mich in Damaskus herumzuführen. Er truck ein schickes und tief ausgeschnittenes T-Shirt und eine modische Sonnenbrille, als er mich am Treffpunkt im Stile eines Touristenführers in Bab Touma abholte. Er schien entschlossen, mir die besseren Seiten seiner Heimatstadt zeigen zu wollen. Unser erster Stop war der Abbasinnenplatz, wo das Nationalstadion das einzige war, das die vom Regime kontrollierte Mitte von Damaskus trennte von den Aufständischen auf der anderen Seite. Samir zeigte auf die Rebellenpositionen, die gerade einmal 200 Meter weit weg lagen. Auf der Seite des Regimes dagegen herrschte normales Leben. "Den Menschen ist es mittlerweile egal," sagte Samir. "Sie wollen nur leben."

Samir fastete mittlerweile nicht mehr. Drei Monate davor erlitt er in Deir al-Zor eine Verwundung am Rücken, weswegen er seitdem krankgeschrieben war. Die Militanten des Islamischen Staates warfen einen Sprengsatz auf sein Auto sagte er, der ihn "10 Meter" in die Luft schleuderte und falsch landen liess; die Verletzung flaute wieder ab und er nahm Schmerzmittel. "Laut Koran soll ich essen," sagte er als Erklärung für die Ausnahme vom Fasten, die er sich gönnte.

Auf einem schönen villengesäumten Stück Strasse hielten wir an einer Saftbar, wo sie Harissakuchen verkaufen, einer örtlichen Delikatesse, bei der Samir bestand ich solle sie probieren. Während wir unseren Griespudding genossen zeigte er mir auf seinem Handy, dass Twitter einen Regenbogen in sein Logo aufnahm als Zeichen für die Unterstützung des Entscheids durch den obersten Gerichtshof der USA, der die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubte. Samir stimmte dem von ganzem Herzen zu.

Samir fragte seinen Freund, ob er auch kommen wolle, aber er lehnte ab. "Wir können niemandem trauen," sagte er Samir und bezog sich damit auf die westlichen Medien, wie alle, die den bewaffneten Austand ablehnten. "Er wird die Geschichte manipulieren." Die beiden Männer hofften, eines Tages nach Europa auswandern zu können, um ein Kind zu adoptieren - nach syrischem Recht völlig undenkbar. In diesem Fall könnte sich meine sexuelle Orientierung tatsächlich als nützlich erweisen. "Ich weis, dass sollte ich zur Schwedischen Botschaft in der Region gehen und dort mitteile, dass ich schwul bin, dann bekomme ich ein Visum," sagte er mit rollenden Augen. "Aber ich würde es nur machen, wenn ich sehr verzweifelt wäre."

Die Unterhaltung ging über zur Religion. Wie etwa 75 Prozent der Syrer ist Samir sunnitischer Moslem; Assad und viele seiner Spitzenbeamten in der Regierung und dem Militär sind Alewiten - Mitglieder einer schiitischen Sekte, die auf einer umstrittenen Islaminterpretation beruht, und die nur etwa 10 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Nichtsdestotrotz lehnte Samir die Perspektive der Ausländischen Presse ab, wonach der Bürgerkrieg im Grunde ein sektiererischer sei. Während ihrer Zeit in Rakka sahen er und seine Kameraden einen CNN Bericht über Assads "alewitisch dominierte Armee." Sie haben sich vor Lachen gekrümmt. "Von den fünfzehn waren elf Sunniten, einer war Alewite und der Rest waren armenische Christen." Vergleichbar skeptisch stand er der Vorstellung gegenüber, wonach er den Islamischen Staat bekämpfen würde wegen deren Verbrechen gegen Homosexuelle. Hassan erzählte mir, dass einige von Samirs Freunden in der Armee und einer seiner Kommandeure von seiner Sexualität wussten, aber Samir wollte nicht darüber reden. "Ich kämpfe für Syrien, weil sie alle Gruppen angreifen - Christen, Alewiten und Sunniten." Er sei Partiot meinte er und das war es auch schon.

Als wir unseren Spaziergang fortsetzten fragte ich ihn nochmal etwas zum Zwischenfall mit dem ägyptisch-schweizerischen Dschihadisten. (Frontsoldaten auf Heimaturlaub sind immer voller prahlerischer Kriegsgeschichten und ich war nicht in der Lage, diese oder andere Geschichten die er erzählte zu verifizieren.) Samir sagte, dass er die Exekution nicht sah, sondern nur den kopflosen Körper danach. Jedenfalls gab er seine Missbilligung mit dem Vorgehen der Männer der Division 17 zu Protokoll. "Nur weil wir auf einer Farm leben, heisst das nicht, dass wir uns wie Tiere benehmen dürfen," rechtfertigte er sich. Seine Kollegen waren da anderer Ansicht. "Wir sind in einer verzweifelten Lage," sagten sie. "Wir müssen ihnen zeigen, dass wir wie sie kämpfen können." In Deir al-Zor wurde Samirs Regiment komplett eingeschlossen von Kämpfern des Islamischen Staates; einmal sagte er begannen die Islamisten damit, abgetrennte Köpfe von Anwohnern in das Lager der syrischen Soldaten zu werfen, um sie so einzuschüchtern, dass sie kapitulieren würden. Samir erzählte mir, dass er im Norden viele furchtbare Dinge sah, darunter eine Reihe von Videos des Islamischen Staates, auf denen syrische Soldaten exekutiert wurden. Nachdem die Kaserne von Division 17 im Juli 2014 fiel zeigte ein Video des Islamischen Staates einen amerikanisch klingenden Dschihadisten, wie er syrische Soldaten dabei überbewachte, wie sie ihre eigenen Gräber aushoben. Samir erkannte einige der Gesichter. In einem anderen Video sah er die Enthauptung eines engen Freundes. Nach dem hastigen Erschiessen eines Mannes neben ihm begannen die Kämpfer des Islamischen Staates damit, seinen Freund zu verhöhnen und wollten ihn dazu bringen zu sagen "Lang lebe der Islamische Staat." Stattdessen, meinte Samir, schrieh er "Ich schwöre bei Gott, wir werden ihn begraben," bevor er in einem Kugelhagel zusammenbrach. Er unterdrückte ein Schluchzen und wir gingen in Stille weiter.

Etwa fünfzig von Samirs Freunden in Division 17 starben seit Beginn des Bürgerkrieges, darunter zehn, die am selben Tag eingezogen wurden wie er. Laut der syrischen Stelle für Menschenrechte starben im Konflikt bis Oktober 2015 52.000 syrische Soldaten und weitere 38.000 Soldaten von paramilitärischen Verbündeten. Dazu wird der syrischen Armee auch Massaker vorgeworfen und umfangreiche Verletzungen der Menschenrechte, darunter Folter, das Bombardieren von Wohngebieten und das Abwerfen improvisierter Fassbomben von Helikoptern, die eine große Zahl zivieler Opfer forderte. Viele jungen Syrer, die ich in den von Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens und in der Türkei kennenlernte flohen vor der Militärpflicht. Samir aber verneinte, dass die Moral schlecht wäre. Zumindest in seinem Regiment sagte er, seien alle glücklich darüber ihren Teil beitragen zu können. "In Syrien gibt es ein Sprichwort: Wer ein Mann werden will muss erst seinem Land gedient haben." Zur selben Zeit war es klar, dass der über vier Jahre dauernde Konflikt seinen Blutzoll forderte. Neun Monate zuvor war Samir beim Arzt wegen Schlaflosigkeit und Weinkrämpfen. Ihm wurden Antidepressiva verschrieben. Aber selbst jetzt schläft er noch schlecht und er blieb in ständigen Kontakt mit seiner Einheit im Norden, um sicherzustellen, dass es den anderen gutging.

Die Hitze des Nachmittags war heftig und Samir entschloss die Tour zu unterbrechen. Auf dem schnellen weg zurück zu meinem Hotel versichert er mir, dass er noch nie jemanden tötete. "Ich könnte keinem Schaf etwas antun," sagte er. "Aber ich würde einen Daesh Kämpfer töten, weil sie mich töten wollen. ICh denke, wir sollten sie alle umbringen. Es ist eine Krankheit. Sie sind wie Zombies."


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Im Original: We Don’t Have Rights, But We Are Alive

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