Von Pepe Escobar, 27. Juli 2016
Seit dem Urteil des internationalen Gerichts in Den Haag, das in der Auseinandersetzung über das Südchinesische Meer für die Phillippinen und gegen China entschied ist Südostasien nun damit beschäftigt sich zu überlegen, wie sie darauf reagieren sollen. Sie zitterten. Sie schacherten. Und dann verzweifelten sie.
Es war ein Lehrbuchbeispiel, wie in Asien "win-win" Geschäfte getätigt werden. Zumindest theoretisch.
Am Ende gab es ein Treffen in Vietiane in Laos, wo die 10 Länder umfassende Gemeinschaft südostasiatischer Nationen (ASEAN) und China schlussendlich eine Einigung erzielten, die betitelt werden könnte mit "Spannungen abbauen".
Sie beschlossen gemeinsam damit aufzuhören Personen auf gegenwärtig unbewohnte "Inseln, Riffe, Untiefen, Sandinseln und andere Gegebenheiten" zu schicken, nachdem die ASEAN sich besorgt zeigte über Landgewinnungen und "eskalierende Aktivitäten in diesem Gebiet".
Und all das ohne China auch nur einmal zu nennen - oder das Urteil aus Den Haag.
China und die ASEAN haben auch zugesichert, die Schifffahrtsfreiheit im südchinesischen Meer zu respektieren (Washington besteht darauf, dass sie in Gefahr ist); dazu auch, das die territorialen Streitigkeiten mit Hilfe von Verhandlungen friedlich beigelegt werden (das ist Chinas offizielle Position), dass erwogen werden soll, die UN Konvention für Seerecht (UNCLOS) zur Anwendung zu bringen; sowie dass an einem Verhaltenskodex für das südchinesische Meer gearbeitet werden soll (daran wird bereits seit Jahren gearbeitet, ein verbindlicher Text wird für die erste Hälfte von 2017 erwartet).
Also, ist das Problem gelöst? Nicht wirklich. Zunächst war es eine Blockadeveranstaltung. Die Dinge kamen erst ins Rollen, als die Phillipponen auf die Nennung von Den Haag im Abschlussdokument verzichteten; Kambodscha - verbündet mit China - war von Beginn an dagegen.
Und das ist auch der Kern der Sache, wenn es um die ASEAN Verhandlungen mit China geht. Es ist eine Sisyphusarbeit, unter den 10 Mitgliedern einen Konsens zu finden - trotz der Selbstwerbung der ASEAN als perfekte Verhandlungsinstitution. China bevorzugt bilaterale Abmachungen - und bringt divide et impera zur Anwendung um zu bekommen, was es will, und verführt vor allem Laos und Kambodscha dazu, seine Alliierte zu werden.
Die Gefahr eines Wettbewerbers
Die strategische geopolitische Bedeutung des Südchinesischen Meeres ist gut bekannt: Es ist eine Meereskreuzung, auf der jährlich ungefähr 5 Billionen Dollar an Handelswaren vorbeikommen; es ist die tägliche Transitstrecke für etwa die Hälfte aller Handelsschiffe der Welt, sowie für ein Drittel des weltweiten Ölhandels und zwei Drittel des Flüssiggashandels.
Es ist ebenso der zentrale Verteiler von Chinas weltweiter Versorgungskette. Das südchinesische Meer schützt Chinas Zugang zum indischen Ozean, der gleichzeitig auch Pekings mit Abstand bedeutendste Energielebensader ist. Woody Island in den Paracelinseln südlich von Hainan ist auch der zentrale Brückenkopf der neuen Seidenstrasse genannt One Belt, One Road (OBOR) [ein Gürtel, eine Strasse,d.R.]. Das südchinesische Meer ist unumgänglich Teil der maritimen Seidenstrasse.
Der Schlichtungsrat in Den Haag (bestehend aus vier Europäern, einem Amerikaner ghanaischen Ursprungs und vor allem keinen Asiaten) gab ein nichtbindendes Urteil heraus; vielmehr war es nicht gerade neutral, da China sich als eine der Konfliktparteien weigerte teilzunehmen.
Jenseis der gegenseitigen Verständniserklärungen durch ASEAN und China aber halten die fortdauernden Aktivitäten die Emotionen bei allen am wallen. Man kann sich ausrechnen, dass das Pentagon sich nicht von seiner Schifffahrtsfreiheit abhalten lassen wird, was es unterstrichen hat, indem es im südchinesischen Meer neben den üblichen Marinepatrollien kürzlich mehrere B-52 Überflüge stattfinden liess.
Nun aber schlägt Peking mit derselben Massnahme zurück - sie haben mit einem Überflug der Scarborough Untiefe in der Nähe der Phillippinen einen ihrer H-6K Langstreckenbomber zur Schau gestellt. Das wiederum hat die Paranoia im Pentagon verstärkt, da hinter dem ganzen Geplänkel um das südchinesische Meer der Kampf um den Mittelpunkt von Chinas Luft- und Unterwassermilitärstrategie steht.
Zum Verständnis dieser Entwicklung muss man in die frühen 1980er zurückgehen, als der kleine Steuermann Deng Xiaopng Chinas erste Sonderwirtschaftszone in Shenzhen einrichtete. Von Beginn an basierte Chinas Wirtschaftswunder immer auf dem östlichen Meereszugang, der ein umfangreiches Potential für den weltweiten Handel eröffnete. Mehr als die Hälfte des chinesischen BIPs basiert heute auf dem Welthandel.
Strategisch aber hat China keinen direkten Zugang zum offenen Meer. Geophysik kann eben nicht manipuliert werden: China ist umgeben von Inseln. Und daher folgte die Geopolitik, da viele der Inseln zu Problemen werden könnten, oder bereits sind.
Der Präsident von Chinas Nationalem Institut für das Südchinesische Meer Wu Shicun hat es über die Jahre immer gesagt; egal was Peking macht, man kann es immer zurückverfolgen auf den Versuch, sich den strategischen Zugang zum offenen Meer zu sichern. Das mag im Westen ausgelegt werden als der Versuch, sich einen "chinesischen See" zu sichern. Allerdings geht es tatsächlich darum, sich ein Rückzugsgebiet für die Marine zu beschaffen. Man kann sich ausmalen, dass sie deswegen immer argwöhnisch sind, was die US Marine dort als nächstes macht. Das Verteidigungsministerium beschäftigt sich damit rund um die Uhr.
Für Peking ist es glasklar; der östliche Meereszugang muss um jeden Preis beschützt werden - weil es dabei um den Ein- und Ausgangspunkt ihrer weltweiten Versorgungskette geht. Und da Pekings militärische Fähigkeiten rasch zunehmen wird der Hegemon zunehmend nervöser. Aus der integrierten Perspektive einer hegemonialen Weltsicht kann so eine Absicht seitens eines Wettbewerbers nur als "Gefahr" betrachtet werden.
Das überlebensgroße Drama um den "Zugang"
Aus der Perspektive des Hegemons geht es nur um den Mythos des "Zugangs". Die USA brauchen einen vollen, uneingeschränkten "Zugang" zu den sieben Weltmeeren, da darauf ihr Imperium, Nachfolger des britischen Empire, beruht: Die "unverzichtbare Nation" muss die Meere beherrschen.
Nun aber hat Peking eine neue Schwelle erreicht. Sie sind bereits in der Lage die strategisch wichtige Insel Hainan im Süden zu verteidigen. Die Yulin Marinebasis auf Hainan ist die Heimat von Chinas ausgebauter U-Bootflotte, die nicht nur die robusten Boote der 094A Jin-Klasse umfasst, sondern wo sie auch die Fähigkeit aufgebaut haben, Chinas neue JL-3 Interkontinentalrakete zu fassen, die eine geschätzte Reichweite von 12.000km hat.
Die Gegenschlag der Amerikaner nennt sich "Anti-Zugang", oder A2 und dazu die Zugangsverweigerung, was im Pentagonsprech mit A2/AD betitelt wird. Allerdings hat China auch gegen A2/AD Taktiken entwickelt, wozu auch die Cyberkriegsführung zählt; die U-Boote sind mit Lenkraketen ausgestattet; und die meisten der ballistischen Schiffsabwehrraketen wie etwa die Dongfeng 21-D sind ein Alptraum für alle, die sich an Bord eines milliardenteuren US-Flugzeugträgers befinden.
Ein Programm namens Pacific Vision, das von einer Pentagonabteilung finanziert wird hat sich dazu ein Konzept zum Luft-See-Kampf ausgedacht. So gut wie alles zu diesem Luft-See-Kampf ist geheim. Als das Konzept der Öffentlichkeit vorgestellt hat, ging China dazu über sehr weitreichende ballisitische Raketen zu entwickeln - eine tödliche Gefahr für das Reich der Militärbasen, egal ob an Land oder zur See.
Bekannt über den Luft-See-Kampf, der sich im Pentagon NIA/D3 nennt, ist, dass "vernetzwerkte, integrierte Kräfte fähig sind tiefe Angriffe vorzunehmen, um die gegnerischen Kräfte zu stören, zerstören und zu besiegen". So will das Pentagon über die chinesischen A2/AD Gegenmassnahmen hinwegkommen. Sie wollen in der Lage sein, in Schwärmen von "chirurgischen Operationen" alle möglichen chinesischen Kommando- und Kontrollzentren anzugreifen. Und all das ohne auch nur einmal das Wort "China" fallen zu lassen.
Darum geht es also. Die Militärische Hegemonie der unverzichtbaren Nation über das südchinesische Meer muss immer unangefochten bleiben. Immer. Allerdings ist sie es bereits heute nicht mehr. China positioniert sich als schlauer, asymmetrisch agierender Wettbewerber. Momentan steht Peking auf dem zweiten Platz auf der internen Pentagonliste der "existenziellen Gefahren" für die USA. Gäbe es Russlands erstklassige nukleare Macht nicht, dann wäre China bereits heute die Nummer eins.
Gleichzeitig muss China keine militärischen Offensiven gegen ASEAN Mitglieder durchführen; das ist schlecht fürs Geschäft. Die Stimmung nach dem Urteil von Den Haag - das beweist das Treffen in Laos - deutet auf eine langfristige diplomatische Lösung hin. Aber man darf sich nichts vormachen; irgendwann wird es eine ernsthafte Konfrontation zwischen den USA und China geben, in der es um den "Zugang" zum südchinesischen Meer geht.
Im Original: Is war inevitable in the South China Sea?
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