Donnerstag, 7. Juli 2016

Daily Mail: Wir wir von unserer Herrscherklasse verraten wurden: Dem Kabinett. MI6. die Generäle. Beamte... ALLE waren Komplizen im größenwahnsinnigen Marsch in den Krieg



Von Max Hastings, 3. Juli 2016

Niemand kann das umfassende Weißwaschen der Dokumente abstreiten.

Die temperierte Sprache des Chilcot Berichts kommt ohne Forderungen für Anklagen wegen Kriegsverbrechen oder öffentliche Exekutionen der Schuldigen aus, beschreibt aber im Detail wie jede einzelne britische Behörde in ihrer Pflicht versagt hat und das vor, während und nach dem Irakkonflikt.

Auch wenn die Autoren manchmal eine explizite Schuldzuweisung vermeiden, so liefern sie doch niederschmetternde Beweise, die es uns ermöglichen dies selbst zu tun.

Aus Sicht der Untersuchungsmitglieder war es ihre oberste Aufgabe, eine ausgiebige Sammlung an Dokumenten anzulegen und aufzubereiten, was genügt um zu erklären, weshalb der Bericht so lange brauchte.

Natürlich wird Tony Blairs Rolle die größte öffentliche Aufmerksamkeit erlangen und wird es auch zurecht.

Das Geschehene war nur möglich, weil Blair in den Jahren 2002-2003 ein immens populärer Ministerpräsident war, dessen persönliche Dominanz es ihm erlaubte, den Rest von Westminster und Whitehall [Parlament und Regierung, d.R.] entweder zu überzeugen, oder dazu zu verpflichten, das Abenteuer im Irak einzugehen, weswegen das ganze in erster Linie auf Basis seiner eigenen Hybris und seinem moralischen Überlegenheitsgefühl von statten ging.

Ab der Frühphase im Jahr 2002 gab Blair eine private Rückversicherung gegenüber Präsident Busch, dass er eine Invasion im Irak voll unterstützen würde.

Dabei wurde er zum Opfer des ewigen Fluchs, der auf britischen Ministerpräsidenten lastet - die Sehnsucht, den Partner der Vereinigten Staaten zu spielen in der völligen Fehlannahme, dass damit in anderen Bereichen britische Interessen gehebelt werden würden.

Hier ein kritischer Unterton von Chilcot, der angesäuert schreibt, dass die US-GB Beziehungen nicht voraussetzen, dass Großbritannien den Amerikanern "bedingungslose Unterstützung" geben müssten.

Und doch machte Blair den fatalen Fehler, dem militärischen Zeitplan, wie er im Weißen Haus unter Busch angedacht war, Anfang 2003 vorbehaltlos zu akzeptieren.

Während der ganzen Zeit spielte Busch mit Blair wie mit einem Fisch an der Angel. Das Ergebnis, meint Chilcot, ist dass "Großbritannien sich dazu entschloss an der Invasion teilzunehmen, bevor alle friedliche Möglichkeiten ausgelotet waren".

Hat Blair also Parlament und Volk hinsichtlich der Massenvernichtungswaffen belogen, um eine Abmachung zu rechtfertigen, die er bereits eingegangen ist? Der Bericht bleibt unschlüssig in diesem kritischen Punkt, da die Autoren dem Ministerpräsidenten nicht nachweisen können, dass er unmittelbar gelogen hat, weil es nichts gibt, dass er von der Abwesenheit von Massenvernichtungswaffen wusste.

Was sie aber zeigen und zwar in erschütternder Tiefe ist, wie Downing Street (Sitz des Ministerpräsidenten, d.R.) sich an den Phantasien über Massenvernichtungswaffen ergötze, denen kein vernünftiger Mensch gefolgt wäre - es sei denn natürich, man ist britischer Ministerpräsident und hat dem Amerikanischen Präsidenten bereits die Unterstützung zugesagt.

Der Geheimdienst und der Geheimdienstausschuss kommen in der Geschichte genauso erbärmlich davon wie sie es verdienen. Beide haben in ihren Verantwortungsbereichen hemmungslos versagt.

Die Vorwürfe insbesondere gegen den damaligen Geheimdienstdirektor Sir Richard Dearlove - der danach groteskerwiese einen Cambridge Master bekam, gewidmet der Wahrheit und dem Lernen - wie auch den Geheimdienstausschussvorsitzenden John Scarlett sind ziemlich schmerzhaft.

Scarletts Aufgabe bestand darin, als kühler, neutraler und skeptischer Überwacher der Vorkriegsgeheimdienstinformationen zu dienen. In Wahrheit liess er sich aber von den Leuten in der Downing Street einspannen und trat für den Krieg ein.

Blair hat ihn danach mit einem Direktorenposten beim Geheimdienst belohnt, eine Rolle, für die im Vergleich zu ihm Pinocchio noch besser geeignet wäre.

Scarlett ist heute eine vielgesehene und illustre Erscheinung in Londons Partyszene und ein unabhängiger Direktor der Times, besser aufgehoben wäre er in einem Pferdestall auf St Helena.

Chilcot, der wie immer abwägend formuliert, hält Dearlove und Scarlett für unschuldig, wenn es um die Fabrizierung von Beweismitteln als Rechtfertigung für Blairs Krieg geht, dafür gibt er ihnen die Schuld an etwas vergleichbar ernstem und feigerem. Sie blieben still als Blair im Parlament und vor dem britischen Volk über die Gefahren durch Saddam Hussein sprach, obwohl sie beide sehr wohl wussten, dass es den Tatsachen widersprach.


Ein ungeheuerliches Beispiel war, als Blair am 10. April 2002 gegenüber NBC News meinte: "Wir wissen, dass [Saddam Hussein] stapelweise über chemische und biologische Waffen verfügt."

Blairs Art, wie er die Beweise zu Massenvernichtungswaffen präsentierte war, um es mit Chilcot zu sagen, "mit Sicherheit nicht gerechtfertigt".

Die eigentliche Aufgabe von Geheimdiensten ist nicht das Dienen als operative Werkzeuge des Ministerpräsidenten, der gerade im Amt ist: Es ist das Liefern von unabhängigen Berichten.

Die einzigen glaubwürdigen Hinweise kamen vom MI5, dessen Chef Eliza Manningham-Buller wiederholt davor warnte, dass eine Invasion des Irak Großbritannien alles andere als sicherer machen würde, anstatt dessen würde es gefährlicher werden, da muslimische Extremisten das Land zum Ziel wählen könnten, was sich dann auch bewahrheitet hat.

Der nächste in der Reihe der Schuldigen ist Lord Goldsmith, der Generalstaatsanwalt. Chilcot hat es heftig, gar im Zorn kritisiert, dass er sich geweigert hat auf den zentralen Punkt, ob der Krieg legal sei oder nicht, hinzuweisen. Im Bericht heisst es zerknirscht, dass dies nur durch ein Gericht festgestellt werden könne.

Was aber an offenen Beweisen geliefert wird ist, dass der Generalstaatsanwalt zunächst den Ministerpräsidenten darüber informierte, dass die Rechtsgrundlage für einen Krieg ziemlich dünn sei, wenn überhaupt existent, er danach aber seine Meinung änderte.

Die Justizbeamten der Regierung sind wenig bekannte Figuren, deren Aufgabe oft als minimal angesehen wird. Aber es gibt Momente in der Geschichte, und 2003 war sicherlich einer davon, wenn sie eine Schlüsselrolle einnehmen.

Eine abschliessende Antwort auf die Frage, weshalb Lord Goldsmith seine Meinung änderte kann es nicht geben, allerdings ist die plausibelste Antwort, dass er damit seinem Chef, dem Ministerpräsidenten, helfen wollte.

Es wäre ein erbärmliches Motiv, mit einer Angelegenheit dieser Tragweite so umzugehen. Lord Goldsmith kommt aus dieser Geschichte mit dem Totalverlust seines Rufes raus. Es war der vielleicht einzige Augenblick in seinem Leben, in dem er an etwas wirklich bedeutenden beteiligt war und er hat seinen Schwanz aus der Verantwortung gezogen.

Ich schätze, dass es auf Basis der im Bericht befindlichen Beweise - auch wenn es nicht direkt drin steht - 2003 illegal war in den Krieg zu ziehen.

Das nächste grauenvolle Versagen kam vom Regierungskabinett. Wo nur blieb angesichts der fieberhaften Diplomatie und den dramatischen Kriegsvorbereitungen die kollektive Verantwortung des Kabinetts an den politischen Entscheidungen?

Es kann argumentiert werden, dass diese Verantwortung in Umbrüchen eher goutiert wird als in normalen, oder gar guten Zeiten und insbesondere unter mächtigen Ministerpräsidenten wie Churchill, Thatcher und - ja - auch Blair.

Beim Irakthema aber war die Stille im Kabinett gleichbedeutend mit Zustimmung, der Mangel an geeigneten Kabinettsmitgliedern und insbesondere die Komplizenschaft und sklavische Loyalität des Außenministers Jack Straw in Blairs Entscheidungen lässt einen würgen.

Am 28. Juli 2002 schrieb Blair an Bush: "Ich bin auf deiner Seite, was immer passiert," was, wie Chilot anmerkt, eine Zusicherung der britischen Regierung gleichkam, die keine weitere Diskussionen mit dem Kabinett nach sich zog.

Die Kabinettsmitglieder waren die Pudel des Ministerpräsidenten, selbst ohne seine Rechtfertigungen glaubten sie an die Richtigkeit dessen, was sie taten.

Und nun kommen wir zu dem, was in meinen Augen der peinlichste Teil des Chilcot Berichts darstellt: Seine niederschmetternden Urteile über die Militärführung und insbesondere der britischen Armee.

Ich weise darauf hin - dies ist nicht die Meinung eines Laien ohne militärische Ahnung. Ein Mitglied der Kommission, Professor Sir Lawrence Freedman, ist ein führender Historiker mit engen Verbindungen zur Armee.

An der Schlüsselstelle des Berichts liesst man über die Erkenntnis, dass der Irakkrieg nicht wirklich Blairs Krieg genannt werden kann, dem das Militär zum Opfer fiel - auch wenn 179 seiner besseren Mitglieder dort ihr Leben verloren.

Es war anstatt dessen ein Kampf, den insbesondere die militärische Führungsrige führen wollte. "Sie haben sogar Witze darüber gemacht," so die Worte von jemanden der in der Nähe war.

Admiral Lord Boyce, damaliger Verteidigungssekretär hat kürzlich gemeint, dass er skeptisch gewesen sei. Mir aber wurde aus verlässlicher Quelle mitgeteilt, dass kein Dokument gefunden werden kann, in dem er Zweifel an Großbritanniens Einsatz äußerte.

In einer der Unterwerfungsgesten durch die Leiter der Streitkräfte unter die Fuchtel der Downing Street meinten sie - und das erscheint heute besonders irreal - dass falls das britische Militär bei der Invasion eine Rolle mit aktivem Kampfeinsatz übernehmen würde, dann wären die Amerikaner damit einverstanden, dass Großbritannien nur eine nachgelagerte Verantwortungsposition während der Besatzung des Irak übernimmt.

General Sir Michael Walker war bis kurz vor dem Einmarsch Chef der Armee und wurde danach Leiter der Streitkräfte und kommt aus der Geschichte erbärmlich raus. Das Militär liess es zu, dass sie für ein Projekt schwärmten, für das sie nur geringfügig und beschämend schlecht und unterversorgt waren - so wie sie es auch waren, als sie 2006 in die afghanische Helmand Provinz einzogen.

Der Mangel der britischen Besatzungsplanung war kriminell nachlässig. Der einzige Soldat, der sich dabei halbwegs ehrenhaft aus der Sache zog ist General Sir Mike Jackson, der Walker als Armeechef folgte und noch vor allen anderen offen ansprach, dass die Besatzung gerade furchtbar in die Hose ging.

Der "Los gets" Geist des Militärs und die Ambition sich verdient zu machen und sich ihrer Existenz zu rechtfertigen oder - wie Zyniker meinen - einfach nur um "mit ihren Spielzeugen zu spielen", kann als legitime Einstellung bezeichnet werden. In der näheren Vergangenheit aber hat genau dies mehrere lächerliche Erbärmlichkeiten und Katastrophen verursacht.

Der beste Dienst den ein Militärchef leisten kann ist, wenn er der Regierung offen und ehrlich sagt, was Soldaten, Seemänner und Flieger können und was nicht. Das ist 2002-2003 nicht geschehen und alle Verteidigungschefs der damaligen Zeit haben sehr viel Schuld auf sich geladen.

Die Besatzungsmanagement der Armee im Irak und insbesondere der Rückzug aus der Verantwortung in Basra erscheinen beschämend.

Im Angesicht der derzeitigen außenpolitischen Krise, die Großbritannien heimsucht ist es verlockend, Chilcot als nicht mehr zu sehen als eine teure Archäologieausgrabung.

Das wird sicherlich die Perspektive all jener sein, die Tony Blair öffentlich beerdigen wollen und nicht nur verbrämen.

Kritiker werden die teilweise übergroßen Umschreibungen im Bericht bemängeln und die umfangreichen Kosten, die für seine Anfertigung entstanden sind.

Doch ich meine, es ist ein Protokoll, ein verdammendes Protokoll, das nicht nur für Historiker von Bedeutung sein sollte, sondern auch für all jene, die von Großbritannien gerne hätten, das es effektiv und ehrlich regiert wird.

Sir John Chilcot sagte gestern bei der Veröffentlichung: "Die Haupterwartung, die ich habe liegt darin, dass es zukünftig nicht mehr möglich sein wird sich in diesem Ausmaß in militärische oder diplomatische Abenteuer zu stürzen, die ein solches Gewicht haben, ohne davor eine wirklich sorgfältige und ausgiebige Analyse und Bewertung vorzunehmen und alles einer kollektiven politischen Bewertung zu unterziehen."

Die Ereignisse von 2011 - als ein Pfadfinder aus Eton verantwortlich war für eine Außenpolitik in der Downing Street, die zu einem chaotischen Einmarsch in Lybien führte um Präsident Gaddafi zu stürzen - zeigen, dass wir aus 2003 weniger gelernt haben als erhofft.

Wenigstens in den Fällen von Libyen und später Syrien hatte der Verteidigungssekretär General David Richards den Mut, den Ministerpräsidenten zu warnen, nachdem Admiral Boyce 2003 Blair nicht vor der Katastrophe gewarnt hat, auf die sie zusteuerten.

Alle in der Downing Street die dumm genug waren anzunehmen, dass unsere Teilnahme in Bushs Iraktragöde uns die Dankbarkeit der USA sichern würde, oder gar ihre Aufmerksamkeit, so sollten wir uns klar machen, dass die meisten Amerikaner sich kaum darüber im Klaren sind, dass wir bei der Nummer von Anfang an bei ihnen mitten auf der Bühne standen.

Auf den 603 Seiten der wichtigsten amerikansischen Aufzeichnung über den Krieg, es ist das  Buch Cobra II von Bernard Trainor und Michael Gordon, erhält Großbritannien ganze acht Erwähnungen und Blair vier.

Es ist nicht so, dass die US Regierung uns nicht mag. Es ist nur so, dass wir außerordentlich klein sind in ihrer Perspektive. Das lächerlichste und fürchterlichste an der britischen Irakkriegsteilnahme ist, dass unser Land so viel gesetzt hat und am Ende nichts rausbekam, nicht einmal ein paar Entgegenkommen bei anderen bilateralen Angelegenheiten mit Washington.

Das beste am Chilcot Bericht sind nicht seine Erkenntnisse, sondern ein Berg an in Stein gemeiselten Beweisen.

Ihn zu lesen sollte Grundbedingung sein für jeden, der bei uns an die Macht kommen will, sei es als Politiker, oder als Beamter.

Ansonsten werden wir uns irgendwann wieder - vielleicht sogar oft - wiederfinden mit einem Ministerpräsidenten, der schlechte Entscheidungen trifft, an Größenwahn leidet, oder sich so moralisch überlegen fühlt und am Ende das Land auf einen rücksichtslosen Kurs bringt.

Die britische Regierungsmaschine existiert, um uns mit Prüfungen und Ausgleichen davor zu bewahren, dass uns solche Führungspersonen in solche Katastrophen stürzen.

Es ist nicht die Pflicht oder gar das Recht der Staatssekretäre, der Beamten, der Geheimdienstleiter, Admiräle und Generäle und Justizbeamten, sich in unterwürfige Instrumente der Regierung, die gerade an der Macht ist verwandeln zu lassen - die in diesem Fall sogar ehrgeizige Mitglieder im "Team Tony" wurden.

Es ist ihre Verantwortung, ehrenhaft und ehrlich dem britischen Volk zu dienen, und nicht so kläglich zu scheitern, wie es vor, während und nach dem Irakkrieg 2003 geschah.


Im Original: How our ruling class betrayed us: The Cabinet. MI6. Generals. Law officers. Civil servants... ALL were complicit in a megalomaniac's march to war, writes MAX HASTINGS

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